Veröffentlichung 2020

Wirksamer werden

 Psychotherapeutenjournal 1/2020, 4 – 11

Stichworte: Feedback-orientierte Rahmung der Psychotherapie, Deliberate Practice, ‚Difficult conversations in Therapy‘-Projekt / Steigerung interpersoneller therapeutischer Kompetenz (FIS), kleine und unaufwendige quantitative eigene Veränderungsprojekte

Keywords: Feedback-informed therapy (FIT), Deliberate Practice, Difficult Conversations in Therapy / Facilitative interpersonal skills (FIS), small and easy own quantitative projects

Zusammenfassung: Wie können Psychotherapeuten¹ wirksamer werden? Wenn man die jüngsten Erkenntnisse der Psychotherapieforschung ernst nimmt, ist die jeweils gewählte Behandlungsform oder Methodik hierbei nicht der ausschlaggebende Faktor. Andere, verfahrensübergreifende Aspekte schlagen sich in deutlich höheren Effektstärken nieder: etwa die Ausgestaltung der therapeutischen Beziehung oder die Fähigkeit zur Anpassung der Psychotherapie an den individuellen Patienten. Ausgehend von dieser Einsicht will der vorliegende Artikel praxisnah einfache Instrumente zur regelmäßigen und nachhaltigen Einbeziehung von Feedback u. a. aus der Patientenperspektive vorstellen. Dabei sollen die damit verbundenen positiven Auswirkungen auf den Therapieverlauf und Lerneffekte für die professionelle Weiterentwicklung von Psychotherapeuten gewürdigt werden. Durch die Aufnahme von Impulsen aus der Exzellenzforschung und aus Untersuchungen zu den im therapeutischen Geschehen wichtigen Sozialkompetenzen können diese Effekte zusätzlich verstetigt und verstärkt werden.

 

 

Im Rahmen einer Fachtagung der Psychotherapeutenkammer Bremen zum Thema „Perspektiven einer Psychotherapie des nächsten Jahrzehnts“ hob sich bei einer offenen Umfrage, wer von den 150 anwesenden Kollegen in ihrem konkreten beruflichen Handeln ausschließlich auf Konzepte eines einzelnen Verfahrens zurückgreife, lediglich eine Hand (Rief, 2019, S. 262). Das zeigt: Der ‚Blick über den Zaun‘ des eigenen Verfahrens ist, zumindest bei den Teilnehmern solcher Tagungen, zur üblichen Praxis geworden. So berei- chernd eine Erweiterung unseres methodischen Spektrums im eigenen Verfahren oder Einsichten in die Zugangsweisen anderer Ausrichtungen auch sein mögen, so wissen wir auch: Die Frage nach der zu wählenden Behandlungsform und dem anzuwendenden Verfahren ist nur eine Dimension unseres psychotherapeutischen Tuns. Die unterschiedlichen Verfahrensrichtungen unterscheiden sich, so zeigen aktuelle Befunde der Psychotherapieforschung (zusammenfassend: Wampold & Imel, 2015, S. 114–157), in ihrer Wirksamkeit nämlich nur wenig voneinander. Das richtet den Fokus auf eine zweite, quer dazu liegende Dimension unserer Tätigkeit als Psychotherapeuten: Auf dieser sind verfahrensunspezifische Faktoren angesiedelt, die sich etwa auf die persönlichen Eigenschaften und zwischenmenschlichen Kompetenzen des Psychotherapeuten oder auf die Ausgestaltung von Therapieprozess und -verhältnis beziehen. In einem aktuellen Artikel akzentuieren Norcross und Wampold (2019)² zwei wesentliche Gesichtspunkte in diesem Feld: zum einen (a) die therapeutische Beziehung, deren Komponenten Effektstärken zwischen 0.14 und 0.62 erzielen (Schlussfolgerung der Autoren: „The relationship is central to healing.“ (S. 394)); zum anderen (b) die sog. responsiveness, also die Anpassung des Vorgehens an konkrete Patientencharakteristika wie Coping-Stil, Reaktanzlevel, Veränderungsstufe, kulturellen Hintergrund usw., mit Effektstärken bis zu 0.78 im Vergleich zu nicht-adaptivem Vorgehen (Schlussfolgerung der Autoren: „(…) (R)esponsiveness works.“ (S. 396)).

Dieser Artikel soll einige konzeptuelle/pragmatische Ansätze darstellen, um unsere je eigene Wirksamkeit auf dieser Dimension zu erhöhen³. In die Darstellung gehen neben wissenschaftlichen Aussagen auch eigene Erfahrungen ein (im Text kursiv gesetzt).

 

Feedback-orientierte Rahmung der Psychotherapie

Der eigene Lernprozess

Im Jahr 2002 las ich „The Heroic Client“ von Duncan und Miller (2000). Ausgehend von einer Kritik an medizinischen Behandlungsmodellen psychischer Störungen entwickeln die Autoren darin die Position, dass nicht die Psychotherapeuten, sondern die Patienten die „Helden“ ihrer Psychotherapien seien. Die Aufgabe der Psychotherapeuten sei es, diese möglichst nah an deren Veränderungsmotivationen und -möglichkeiten zu unterstützen. Als Werkzeuge dafür werden den Patienten kurz vor Ende jeder Sitzung das „Session Rating“ (Johnson, 2000) und am Anfang jeder Sitzung der (aus 45 standardisierten Fragen bestehende) Ergebnisfragebogen „Outcome Questionnaire“ (OQ-45.2) (Lambert et al., 1996) ausgehändigt. Für das Besprechen des Sitzungsbogens werden am Ende jeder Sitzung fünf Minuten reserviert, um so die Perspektive der Patienten auf die Sitzung möglichst genau zu erfassen und in etwaige Modifikationen des Vorgehens / des Kontakts einfließen zu lassen. Ebenso wird am Anfang jeder Sitzung der aktuelle OQ-45.2 besprochen, um zu klären, was sich in der Zwischenzeit verändert hat, inwieweit das auf die Therapie oder extratherapeutische Faktoren zurückzuführen ist und ob es ggf. Änderungen des Vorgehens braucht. Das auf diese Weise angestrebte Ziel einer patienten- und ergebnisorientierten Psychotherapie – entsprechend dem Untertitel des angesprochenen Buches: „Doing Client-Directed, Outcome-Informed Therapy“ – lässt sich unabhängig vom jeweiligen Verfahren implementieren.

Während dieses Buch aus einer konzeptuellen Position heraus die Therapieperspektive von Patienten in den Vordergrund rückt, geschieht zur gleichen Zeit ein paralleler Prozess in der Psychotherapieforschung – mit dem erklärten Ziel, die Wirksamkeit von Psychotherapie zu steigern. Unter dem Begriff „patient-focused research“ bzw. „patient-oriented research“ erscheinen in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends viele Untersuchungen, in deren Rahmen die Werte von jeweils aktuellen Befindensbögen in die Sitzung eingespeist werden; z.T. werden wie bei Duncan und Miller zusätzlich auch Sitzungsbögen am Ende jeder Sitzung bearbeitet und besprochen; z.T. wird dies durch computergestützte Systeme ergänzt, die Warnsignale geben, wenn der Verlauf stagniert bzw. sich verschlechtert (einen Überblick über die verschiedenen Systeme gibt Lambert, 2010, S. 250 ff.).

Nach Übersetzen der beiden Fragebögen (der OQ-45.2 lag damals noch nicht in einer deutschen Version vor) setzte ich diese dann vor bzw. nach jeder Sitzung im Rahmen der Ehe-, Familien- und Lebensberatung der pro familia Heidelberg ein. Da hier der zeitliche Rahmen für eine Sitzung inkl. Notizen wie in der Niederlassung bei insgesamt 60 Minuten liegt und es keine Assistenz gibt, bereitete dies sofort zeitliche Probleme: Ausfüllen und Auswerten des OQ-45.2 dauerten mindestens zehn Minuten – und das auch nur bei akademischem Klientel, das solche Fragebögen sehr schnell abarbeitete; andere brauchten deutlich länger. Das Ausfüllen des Sitzungsbogens und dessen Nachbesprechen brauchte nochmals ca. zehn Minuten – für die üblichen Therapieinhalte wurde es sehr eng. An ein Verwenden in Paartherapien war schon aus Zeitgründen nicht zu denken – das Implementieren dieses Vorgehens drohte zu scheitern. Ich wandte mich an Scott Miller und bekam zur Antwort, dass er in seiner Arbeitsgruppe auf die gleichen Probleme gestoßen sei und deshalb beide Fragebögen radikal auf jeweils vier Analog-Skalen kondensiert hätte. Die mitgesandten Fragebögen „Outcome Rating Scale“ (ORS) (Miller & Duncan, 2004) und „Session Rating Scale“ (SRS) (Johnson et al., 2004) werden mit etwas Routine in weniger als 30 Sekunden ausgefüllt; deren Werte können mit einem Blick erfasst werden (zur Qualität der Skalen s. Miller et al., 2003, und Duncan et al., 2003). Damit waren die Bögen sowohl in Einzel- wie Paartherapien bzw. -beratungen anwendbar und auch für alle Bildungslevel (evtl. nach einer kurzen Erklärung) geeignet.

Ganz analog zu meiner Erfahrung formuliert Lambert (2010, S. 258) sehr dezidiert aus seiner Forscher-Perspektive: „To be used, measures must be brief.“ Miller et al. (2003, S. 92) berichten dementsprechend von großer Unzufriedenheit bei Psychotherapeuten und Patienten wegen des hohen Zeitaufwands für das Ausfüllen, der schwer leserlichen Schriftgröße und ähnlicher Aspekte beim OQ-45.2, was sich ungünstig auf die Bereitschaft ausgewirkt habe, diesen Fragebogen einzusetzen. Zwar erweisen sich die Reliabilitäts- und Validitätswerte des ORS nur als moderat, aber die Akzeptanz der Skala bei Psychotherapeuten (und damit deren Anwendungsrate) ist deutlich höher. Unterlegt wird diese Beobachtung mit Vergleichszahlen aus zwei Community-Centern, deren Leitungen den Gebrauch des OQ-45.2 bzw. des ORS nahelegten: Bei dem einen Zentrum, das standardmäßig den OQ-45.2 einsetzte, sank die Verwendungshäufigkeit für den Fragebo- gen von 33% am Ende des ersten Monats auf 25% nach einem Jahr, während sie bei dem anderen Zentrum, das auf den ORS zurückgriff, im selben Zeitraum von 3 % auf 89 % rasant anstieg. Die Autoren bilanzieren: „(…) (M)easures that are easy to integrate into treatment and that have face validity encourage a partnership between the client and therapist for monitoring the effectiveness of the services.” (Miller et al., 2003, S. 98) Gleiches gilt für den SRS: moderate Werte bei Reliabilität und Validität, aber sehr hohe Werte bei der Compliance (29 % bei dem Working Alliance Inventory in dem einen Zentrum vs. 96 % für den SRS in dem anderen Zentrum; Duncan et al., 2003, S. 9).

Natürlich erfasst ein Fragebogen mit 45 Fragen (= der OQ- 45.2) das aktuelle Befinden sehr viel präziser als ein Fragebogen mit vier Skalen (= der ORS); das Gleiche gilt für die zehn Skalen des „Session Rating“ vs. die vier Skalen des SRS. Allerdings ist Genauigkeit nicht der vorrangige Maßstab für die Fragebögen. Die Feedback-Werte (selbst wenn sie beim ORS und SRS nicht ganz treffgenau sind) erfüllen nämlich einen viel wichtigeren Zweck: Sie dienen als Startpunkt eines therapeutischen Gesprächs. So wie z. B. ein selbstunsicherer Patient den Sitzungsbogen häufig zu Beginn der Psychotherapie mit (übermäßig) positiven Werten ausfüllen wird und das Gespräch darüber die angekreuzten Werte dann mit Leben füllen muss, so gilt dies auch für die Befindensbögen: Beispielsweise wird der allein durch Druck (z.B. vonseiten der Partnerin) in einem Erstgespräch „gelandete“ Patient sehr gute Werte ankreuzen (da er selbst keine Probleme sieht) und diese Werte bilden dann den Ausgangspunkt für die Suche nach einer möglichen Grundlage für weitere Gespräche (s. das erste Fallbeispiel in Linsenhoff (2012, S. 99 f.), bei dem der Patient zunächst nicht bereit zur therapeutischen Kooperation ist). Die Bögen entfalten ihre Wirkung nicht dadurch, dass sie bloß ausgefüllt und irgendwo abgelegt werden. Erst das aufrichtige Interesse des Psychotherapeuten an der Bedeutung der eingetragenen Werte schafft die Voraussetzung dafür, daraus einen Gewinn für die therapeutische Beziehung zu schlagen und ggf. das Therapiegeschehen noch responsiver auf das jeweilige Gegenüber ausrichten zu können.

Ein kluger und flexibler Umgang mit den Bögen lässt sich über die Zeit erlernen⁴. Doch ein schwieriger Schritt liegt all dem voraus: Der Psychotherapeut muss sich überhaupt erst einmal emotional darauf einlassen, interessiert nach Feedback zu fragen und mit einer ehrlichen (mitunter negativen) Rückmeldung des Patienten umzugehen. Dieser Prozess setzt auch den Aufbau eines (Erfahrungs-)Wissens über die unterschiedlichen Bedürfnisse voraus, die Patienten in der Psychotherapie in Bezug auf den Behandlungsstil („Therapy Preferences“; s. Swift et al., 2019) ausprägen können, um überhaupt aus skalierten Werten eines Fragebogens die dahinterstehenden Wünsche und Erwartungen an die therapeutische Beziehung entschlüsseln zu können. Da es meines Wissens im deutschsprachigen Raum keine Supervisoren für diesen Entwicklungsprozess gibt (anders als in den USA, Ka- nada, Australien und den skandinavischen Ländern), kommt Intervisionsgruppen hierfür eine besondere Bedeutung zu: Hier kann geübt werden, wie man den einen Bogen vor dem oder im Erstgespräch in die Therapie einführt und wie man am besten darauf reagiert, wenn beim SRS wiederholt „heikle“ Werte (z. B. Maximalwerte auf der Skala) auftreten.

Einige empirische Daten

Überblicksarbeiten über die Vielzahl von Untersuchungen, die inzwischen zu verschiedenen Feedback-Systemen erschienen sind, formulieren deutlich: „(…) (F)eedback appears to be a powerful tool for enhancing outcomes“ (Castonguay et al., 2013, S. 94ff.). Lambert (2010, S. 249) fasst die Effekte diverser Studien zur Wirkung von Feedback mit z. T. großen Stich- probenumfängen, unterschiedlichen Feedback-Systemen, unterschiedlicher Klientel und unterschiedlichen Settings zusammen: „(…) (T)he effect sizes for the difference between feedback and treatment-as-usual (TAU) ranged from .34 to .92.” Dabei muss mitgedacht werden, dass je nach Studie ein Teil der teilnehmenden Psychotherapeuten die Instrumente nur unregelmäßig ausgibt (z.B. im Calgary Counseling Center taten dies nur 40 % der Mitarbeiter regelmäßig; Goldberg et al., 2016, S. 369), ein Teil sie aushändigt, aber nicht ins Gespräch einführt (50 % in der Untersuchung von de Jong et al., 2014, S. 472) und ein Teil sie sicherlich auch nur pro forma ins Gespräch einbringt – ohne echte Konsequenzen für die weitere Zusammenarbeit mit dem Patienten. Solche Herangehensweisen reduzieren die Wirksamkeit einer Feedback-Rahmung teils drastisch.

Anhand der Paartherapieuntersuchung von Anker et al. (2009) an einer norwegischen Familienberatungsstelle lässt sich gut illustrieren, welch deutliche Auswirkungen eine Feedback- Rahmung (schon bei mittlerer Effektstärke) mit sich bringen kann. In dem Feldexperiment wurden alle Paare (N = 201), bei denen beide Partner zur Therapie bereit waren, zufällig zwei Bedingungen zugeteilt: Eine Hälfte füllte den ORS nur beim Sekretariat aus (= TAU-Bedingung), die andere Hälfte ORS und SRS für ihre Psychotherapeuten, die die eingetragenen Werte in der Therapiesitzung thematisierten (Feedback-Bedingung). Alle zehn Psychotherapeuten arbeiteten unter beiden Bedingungen und waren der Meinung, dass ihre bisherige Art, Feedback zu erfassen, genauso gut sei wie die Arbeit mit den Bögen. Die Ergebnisse zeigen, dass bei einer Effektstärke von 0.50 viermal so viele Paare unter der Feedback- Bedingung klinisch relevante Veränderungen erfuhren wie unter der TAU-Bedingung (40,8 % vs. 10,8 %), der Anteil der Nichtveränderten war deutlich geringer (13,6% vs. 23,5%) und die Paarzufriedenheit deutlich höher. Trennungen waren unter der TAU-Bedingung doppelt so häufig wie unter der Feedback-Bedingung. Von den zehn Psychotherapeuten hatten neun unter der Feedback-Bedingung bessere Resultate.

Im deutschsprachigen Raum haben v.a. Schiepek (s.z.B. Schiepek etal., 2019) und Lutz (s.z.B. Deisenhofer et al., 2019) umfangreiche computergestützte Feedback-Systeme entwickelt, die sozusagen die High-End-Seite der Feedback- Rahmung mit algorithmengeleiteten Behandlungsvorschlägen abbilden. Demgegenüber sind ORS und SRS eher auf der Low-End-Seite anzusiedeln.⁵ Hier können Kollegen zum Einstieg mit einfachen Mitteln erproben, was es heißt, Psychotherapie unter konsequenter Feedback-Rahmung durchzuführen. Es ist nämlich für jeden erst einmal eine ungewöhnliche und unbehagliche Situation, sich ggf. Rückmeldungen aus der Patientenperspektive stellen zu müssen, die möglicherweise auch das eigene Rollenverständnis im Therapiegeschehen in Zweifel ziehen. Durch Übung lässt sich auch ein anfängliches Vermeiden beim Einholen von Feedback bewusstmachen und mit wachsendem Selbstvertrauen allmählich überwinden. Mit dieser Erfahrung ließe sich dann entscheiden, ob die gewünschte eigene psychotherapeutische Entwicklung eher in Richtung komplexerer, technisch gestützter Monitoring- Systeme wie bei Schiepek oder Lutz geht oder in die einer Intensivierung des persönlichen Kontakts beim Feedback.

Das Unbehagen bei uns Psychotherapeuten

Wenn solche Systeme also deutlich die Wirksamkeit verbessern, warum werden sie dann nicht häufiger genutzt? Lambert (2010, S. 257) gibt trocken als Antwort: „clinician resistance“!

Eine Hürde ist hier zunächst einmal die weit verbreitete Überzeugung unserer Berufsgruppe, für die meisten (wenn nicht sogar für alle) Patienten per se hilfreich zu sein. Es kommt uns hier zudem unser psychotherapeutischer Optimismus in die Quere, der uns Stagnationen oder sogar Verschlechterungen übersehen und Hilfsmittel eher als überflüssig betrachten lässt.

Als ich mit dem Ausgeben der Stundenbögen anfing, hatte ich das Selbstbild, eigentlich sehr interessiert an Feedback von Patienten zu sein, und setzte mir selbst als „Regel“, nach wirklich jeder Sitzung den SRS auszugeben. Durch diese „Regel“ wurde erst klar, dass es auch immer wieder Sitzungen gab, in denen mir vor dem Feedback unwohl war und in denen ich ohne meine Selbstverpflichtung ausgewichen wäre und den SRS nicht ausgegeben hätte. Eine Studie von de Jong et al. (2012, S. 471) unterstreicht, dass es in allererster Linie auf das Commitment ankommt, solche Feedback-Tools mit Konsequenz einzusetzen. Mit der Verpflichtung auf eine regelhafte Feedback-Rahmung setzt man sich einem Ungewissheitsfaktor aus, der manchmal überraschende Lerneffekte generiert, manchmal aber auch (gerade beim Auseinanderliegen von Therapeuten- und Patientenwahrnehmung) ernüchternd wirken kann. Der erfahrene Kollege Bill Robinson (2009, S. 64) bringt dies prägnant auf den Punkt: „The use of the formal feedback tools is constantly surprising and humbling (…).“

Daneben stellte sich für mich heraus, dass eine solche Ermöglichung eines viel genaueren Einblicks in die konkrete Sicht der Patienten auf die Psychotherapie zu einer gefühlten Verengung meines inneren therapeutischen Spielraums führte: Ich musste erst einmal mit den Bögen aussetzen, um via Supervision mehr Gelassenheit gegenüber den durch ORS und SRS deutlicher gewordenen Bedürfnissen der Patienten und dem damit verbundenem Erwartungsdruck zu gewinnen.

Besonders hinderlich für das Integrieren von Feedback-Maßnahmen in den psychotherapeutischen Alltag ist, wenn diese in Organisationen top-down eingeführt werden. Wenn die Arbeitsbelastung dort schon recht hoch ist, stößt ein weiteres Add-on ohnehin nur auf wenig Gegenliebe. Im Falle von Zwang mögen die Mitarbeiter es zusätzlich als bloße von oben auferlegte Schikane betrachten und gar nicht als willkommenes Hilfsmittel für eine Rückkopplung mit der Patientensicht.⁶

Wie kann man die Feedback-Rahmung lernen?

Die ursprüngliche Bezeichnung „client-directed outcome- informed therapy“ hat nach einigen Jahren zu dem Missverständnis geführt, dass es sich hierbei um ein eigenes psy- chotherapeutisches Verfahren handeln würde. Dies hat sich noch verstärkt, als das US-amerikanische Department of Health and Human Services in seinem „National Registry of Evidence-based Programs and Practices“ diese Feedback- Rahmung 2012 als empirisch validiert anerkannt hat. Doch weder ist eine outcome- und patientenorientierte Psychothe- rapie selbst ein eigenes Verfahren noch ist sie exklusiv an ein bestimmtes Verfahren gebunden. Um deutlich zu machen, dass hier über alle Verfahrensgrenzen hinweg dazu eingeladen wird, die Psychotherapie mithilfe von Feedbackinstrumenten an die Patientenbedürfnisse zu adaptieren, verwenden Protagonisten seither das Akronym FIT zur Kennzeichnung dieses Vorgehens: FIT zugleich verstanden als Suche nach einer möglichst guten Passung (= fit) mit den Patienten und als Abkürzung von Feedback-Informed Treatment.

Die Forschung zu ORS und SRS hat die Anschlussfähigkeit an spezifische theoretische Verfahrensrahmen oder die Abhängigkeit von Behandlungsmethoden nicht zum Gegenstand gemacht. Aus meiner Sicht passt die Feedback-Rahmung zu allen Vorgehensweisen, in denen ein Gespräch über den therapeutischen Prozess „auf Augenhöhe“ möglich ist. Deshalb ist unter den gängigen Verfahren m.E. lediglich die Analytische Psychotherapie durch ihre ganz eigene Gestaltung der therapeutischen Beziehung mit einer Feedback-Rahmung nur schwer kombinierbar.

Welche Schritte empfehlen sich, um diese Art der Rahmung zu lernen?

  • ORS und SRS können kostenfrei heruntergeladen werden.⁷
  • Die Artikel von Linsenhoff (2012; 2014) geben erste Hinweise für das Einführen und Handling der Bögen, in Cut- off-Werte usw.
  • Vertiefte Informationen finden sich in den FIT-Manualen 1–6 (insb. 1 und 2).
  • Es empfiehlt sich, eine kleine Intervisionsgruppe zu gründen, um sich über eigenes Unwohlsein und Klippen bei diesem Vorgehen auszutauschen. Beim Feedback auftre- tende stark aversive Reaktionen sollten in der regulären Supervision besprochen werden.
  • Wenn die eigene FIT-Praxis flüssiger geworden ist, aber einzelne Fragen sich klarer herauskristallisiert haben, empfiehlt sich als nächster Schritt das passwortgeschützte Portal des International Center for Clinical Excellence⁸: Dies ist ein internationales Forum von mehr als 10.000 Kollegen mit unterschiedlichen Verfahrenshintergründen, die alle mit FIT arbeiten. Dort lassen sich eigene Fragen stellen, die häufig zu umfangreichen und anspruchsvollen Diskussions-Threads führen.
  • „Dranbleiben!“ – es braucht Zeit und Geduld, um den Umgang mit FIT zu lernen.

 

Die Suche nach dem Supershrink – Impulse aus der Exzellenzforschung

Mit zunehmender Zahl von Untersuchungen zur feedback-orientierten Rahmung von Psychotherapie trat folgende Frage in den Vordergrund: Warum werden Psychotherapeuten, die mit Fragebögen arbeiten, nicht allgemein wirksamer – also auch in Psychotherapien, bei denen sie auf die Anwendung von Feedback-Instrumenten verzichten? In der oben erwähnten Untersuchung von Anker et al. (2009) führten beispielsweise alle Psychothera- peuten Paartherapien sowohl unter der Bedingung mit als auch unter der ohne Feedback durch. In den 26 Monaten der Untersuchung erwiesen sich zwar die Paartherapien mit Feedback als jenen ohne Feedback erheblich überlegen, die Psychotherapeuten konnten diesen Effekt aber nicht auf die Paare übertragen, bei denen sie nicht die ORS-/SRS-Werte erhoben.

Wie hochwirksame Psychotherapeuten mit Feedback umgehen

Um diese Frage zu klären, begann die Arbeitsgruppe von Scott Miller zunächst damit, hochwirksame Psychotherapeuten (genannt „Supershrinks“) näher in ihrer Arbeit zu unter- suchen (Miller et al., 2007), und kam zu dem Ergebnis, dass diese aktiv auch nach negativem Feedback zur therapeutischen Zusammenarbeit fragen und so ihre Patienten dezidiert zu offen-kritischen Rückmeldungen anregen. Was außerdem bei den Supershrinks auffallend war: Sie erhalten am Anfang von Psychotherapien niedrigere Werte in Allianzfragebögen, „perhaps because they are more persistent or are more believable when assuring clients that they want honest answers – enabling them to address potential problems in the working relationship” (Miller et al., 2007, S. 33).

Essentials beim Entwickeln von Exzellenz

Während diese ersten Schritte der Supershrink-Forschung noch im Kontext der optimalen Nutzung von Patienten-Feedback standen, kamen durch die Zusammenarbeit mit dem Exzellenzforscher Anders Ericsson ganz andere Impulse auf. Ericsson ist Herausgeber des „Cambridge Handbook of Expertise and Expert Performance“ und erforscht in immer wieder neuen Berufsgruppen (Sportler, Musiker, Schachspieler, Radiologen usw.), wie Exzellenz entsteht und gefördert werden kann. Folgende Elemente sind dafür tätigkeitsübergreifend notwendig:

  • ein differenziertes Bild vom gegenwärtigen Kompetenzniveau als Ausgangspunkt,
  • ein präzises Feedback von einem Experten in diesem Feld zu den nächsten Entwicklungsschritten (dieser Experte muss über sog. „domain-specific knowledge“ verfügen),
  • ein gezieltes, konzentriertes, regelmäßiges Reflektieren und Einüben dieser nächsten Schritte über längere Zeit, genannt „Deliberate Practice“ (DP),
  • auf das wiederum ein genaues, zeitnahes Feedback des Experten folgt usw.

Es geht hier also darum, mithilfe von einem Experten durch Feedback-Schleifen zur Umsetzung von zielgerichteten Schritten hin zu einer spezifischen Kompetenzsteigerung zu gelangen. Für gute DP ist hierbei die Reservierung gesonderter Zeit außerhalb des „laufenden Betriebs“ ebenso ausschlaggebend wie eine hochgradige Individualisierung des Feedbacks.

Diese Prinzipien werden nun auch auf Psychotherapeuten angewandt – einen guten Überblick über den Stand bietet der Band „The Cycle of Excellence“ (Rousmaniere et al., 2017a). Eher realitätsfremd oder gar abschreckend wirkt es hierbei jedoch, wenn im Zusammenhang mit DP vorgeschlagen wird, dass zur Erneuerung des beruflichen Zertifikats („credentials“) zwingend Daten zur Wirksamkeit des eigenen psychotherapeutischen Handelns vorzulegen seien, oder wenn Supervisoren Informationen darüber geben sollen, wie sich die Effekte ihrer Supervisanden entwickelt haben (Rousmaniere et al., 2017b, S. 270 f.).

Kritische Anmerkungen zu Deliberate Practice und Psychotherapie

Drei Aspekte sind aus meiner Sicht gegenüber der Begeisterung für DP kritisch anzumerken: (1) Kein Autor thematisiert, dass die übliche Exzellenzforschung immer auf das Entwickeln von Skills angelegt war, deren Ausprägungsgrad bei den Beobachteten selbst erfasst wird – bei den Psychotherapeuten ist das Zielkriterium hingegen Wirksamkeit im Umgang mit Patienten, also in einer Interaktionsbeziehung, deren Erfolg sich dann in Form einer Veränderung beim Patienten zeigen muss. (2) Bei einer vorschnellen Übertragung von DP auf den Bereich Psychotherapie wird nicht bedacht, dass das präzise Erfassen von Drop-outs, Verschlechterungen oder Nichtver- änderung bei Patienten in jedem Psychotherapeuten Angst vor Beschämung auslösen kann, was alle unterstützenden Maßnahmen der DP wieder konterkarieren mag. Und dass es deshalb eine Kultur braucht, die aufmerksam und offen mit unserer Verletzlichkeit umgeht.⁹ (3) Anders als im Sport, der Musik etc. ist bisher nicht etabliert, wie Limitierungen von Psychotherapeuten präzise erfasst werden können und welches dann die entsprechenden weitenden DP-Schritte sind; „domain-specific knowlegde“ muss sich für die Wirksamkeit von Psychotherapeuten erst noch ausbilden.

Erste Schritte zu Deliberate Practice und Psychotherapie

Das heißt nun aber nicht, dass diese ganze Entwicklungsrichtung „erledigt“ wäre. Chow hat eine erste Untersuchung zu DP vorgelegt (Chow et al., 2015): Von Mitgliedern eines „Practice Research Network“ (mit breiter Streuung in unter- schiedlichen Arbeitskontexten) in Großbritannien wurden über vier Jahre die Psychotherapieergebnisse gesammelt. Um Vergleichbarkeit zu erreichen, wurden die Patientenergebnisse entsprechend der jeweiligen Ausgangsbelastung korrigiert. Daneben wurden die teilnehmenden Psychotherapeuten da- zu befragt, wie viel Zeit sie in einer typischen Arbeitswoche mit Tätigkeiten verbringen, die zur Verbesserung ihrer therapeutischen Arbeit dienen, und welche Bedeutung sie diesen Tätigkeiten zumessen. Die Psychotherapeuten wurden dabei nach ihrer Wirksamkeit in vier Quartile aufgeteilt, wobei die wirksamsten (= 1. Quartil) im Durchschnitt eine Effektstärke von 1.5 und die Kollegen im 4. Quartil eine Effektstärke von 0.76 aufwiesen. Das auffälligste Untersuchungsergebnis ist, dass die Psychotherapeuten im 1. Quartil 7,39 Stunden pro Woche damit verbrachten, allein über schwierig verlaufene Sitzungen, komplizierte Fälle und kommende Sitzungen nachzudenken, während diejenigen im 2. bis 4. Quartil dies gemittelt nur für 2,63 Stunden taten – ein 2,8-mal höherer Wert bei den wirksamsten Kollegen!

Mehrere Aspekte der Untersuchung sind kritisch zu sehen: Die Stichprobe war klein, die Teilnehmer waren Selbstmel- der (und vermutlich deshalb bereits sehr engagierte Kollegen) und die Zeiten waren berichtet und nicht gemessen – trotzdem laden die Ergebnisse dazu ein, diese Suche nach Voraussetzungen für hohe Effektstärken des Einzelnen weiter zu verfolgen.

Chow und Miller (2015) haben für die gegenwärtige Situation noch unzureichenden Wissens über DP im psychotherapeutischen Kontext eine „Taxonomy“ vorgelegt, anhand derer eigene Aktivitäten zur Verbesserung ausgewählt und dafür konkrete Ziele formuliert werden können. Nach Vergegen- wärtigen der Therapiesitzungen der zurückliegenden Woche soll der Psychotherapeut die einzelnen Kategorien (fünf Domains mit insgesamt 37 Klassen von Aktivitäten) durchgehen und die eigene Performanz bei den jeweiligen Antworten auf einer Skala zwischen 1 und 10 einschätzen (z.B. ist in der Domain „Therapeut“ eine der „Aktivitäten“-Fragen: „Wie regulieren Sie Ihre Angst in einer schwierigen Interaktion mit Ihren Patienten?“). Aus den vorgeschlagenen Antworten werden dann die drei Aktivitäten ausgewählt, in denen er sich verbessern möchte. Im Gespräch mit dem Supervisor, der nach Beobachtung des tatsächlichen psychotherapeutischen Tuns ein vergleichbares Raster ausgefüllt hat, wird dann eine Aktivität ausgewählt, die in der nächsten Zeit verfolgt werden soll. Und für diese werden SMART(= Specific, Measurable, Attainable, Timeline)-Ziele formuliert, deren Erreichen regelmäßig beobachtet und monatlich im Gespräch mit dem Supervisor überprüft wird.

 

Das „Difficult Conversations in Therapy”-Projekt von Daryl Chow

Andersons Forschung zu Facilitative Interpersonal Skills

Der Ausgangspunkt für dieses Projekt ist eine Untersuchung von Anderson et al. (2009), die der Frage nachgegangen sind, warum selbst in hochgradig kontrollierten Studien (mit Manualen, spezifischem Training, spezifischer Supervision) die Ergebnisse der Patienten ihren jeweiligen Psychotherapeuten entsprechend variieren. Da sich Merkmale wie Geschlecht, Alter, Art des Trainings, Art der theoretischen Orientierung usw. nicht als Quelle dieser sich deutlich unterscheiden- den Therapeuteneffekte ausmachen ließen, schlossen sie, dass man bei der Suche nach den Ursachen näher auf die ausschlaggebenden Sozialkompetenzen im Therapieprozess schauen muss: „(…) (A) potentially promising approach for identifying the sources of therapist effects would be to operationalize and examine therapists’ skills in facilitating therapy processes (e.g. empathy and the alliance) that are theoretically and empirically related to therapy outcome.“ (S. 757)

Um diese Hypothese zu überprüfen, bekamen die teilnehmenden Psychotherapeuten in ihren gewohnten Therapieräumen auf dem PC kurze Videosequenzen von schwierigen Therapiesituationen vorgespielt (wütender/überheblicher/passiver/ sich unterwerfender Patient) und zeichneten dann ihre spontane Audioreaktion darauf auf. Diese Reaktionen wurden dann nach Wärme, Empathie, emotionalem Ausdruck usw. geratet – also Kriterien, die die Autoren als Facilitative Interpersonal Skills (FIS) zusammenfassten. Das Ergebnis zeigte: Psychotherapeuten mit hohen FIS-Werten hatten signifikant bessere Therapieresultate als solche mit niedrigen Werten.

Lassen sich diese Skills steigern?

Dieser Forschungsansatz wurde nun von Chow (Design des Pilotprojekts in Miller et. al., 2015, S.454f.; Projekt selbst dargestellt in Jones, 2019, und Chow et al., o. J.) weitergeführt: Es sollte erprobt werden, inwieweit sich die persönlichen FIS-Werte durch gezieltes Feedback steigern lassen. Hierzu wurde in der Experimentalgruppe den teilnehmenden Psychotherapeuten in ihrem üblichen räumlichen Setting eine kurze herausfordernde Therapiesequenz10 auf dem PC vorgespielt. Diese zeichneten selbst ihre spontane Reaktion dar- auf mittels Skype-Protokoll auf. Für diese Reaktion bekamen sie innerhalb von zwei Tagen ein schriftliches Feedback mit Verbesserungsvorschlägen entsprechend den FIS-Kriterien. Dieser Prozess wiederholte sich zwei weitere Male mit derselben Therapieszene. Abschließend wurde ihnen ein viertes Mal eine ähnliche Szene, aber diesmal mit einem anderen Darsteller vorgespielt, um auch die Generalisierung zu erfassen. Die Psychotherapeuten der Kontrollgruppe sahen die gleichen Szenen und wurden nur zur Selbstreflexion aufgefordert. Jede der Reaktionen der Teilnehmenden wurde anhand der Rating-Skalen von Anderson und Patterson (2013) eingeordnet.

Die Ergebnisse: Die Reaktionen auf die erste Szene bei den Teilnehmenden der Experimentalgruppe und der Kontrollgruppe wiesen keine Unterschiede hinsichtlich der FIS-Werte auf. Bei allen Teilnehmenden stiegen die FIS-Werte über die vier Durchläufe hin an. Allerdings waren die Verbesserungen in der Experimentalgruppe bei drei der vier Szenen (hilfloser, intellektualisierender, unwilliger Patient) signifikant besser als in der Kontrollgruppe.11 

 

Pragmatische Verbesserungsmöglichkeiten

Aber auch mit einfachen Vorgehensweisen und bescheidenen Mitteln lassen sich Aspekte einer höheren Patientenorientierung verfolgen – zwei Beispiele aus der eigenen Arbeit sollen das illustrieren:

Anteil der no-shows verringern

1982 begann ich, als Psychologe in der Ehe-, Familien- und Lebensberatung der pro familia Heidelberg zu arbeiten. Nach einiger Zeit realisierte ich, wie häufig Erstgespräche ohne Absage nicht wahrgenommen wurden und dass das Warten auf die Fernbleibenden für mich unangenehm war. Deshalb zählten wir für alle Termine im psychologischen Bereich während eines Quartals aus, wie hoch dieser Anteil von sog. no-shows war, und kamen auf 24,8 %12! Daraus entwickelte sich das Ziel, diesen Anteil zu reduzieren. Hätten wir damals schon dieses Ziel als Teil unserer psychologischen Arbeit gesehen, hätten wir vermutlich nach jeder ergriffenen Maßnahme erneut nachgezählt, um deren spezifische Wirkung zu messen. So aber veränderten wir nur schrittweise das Vorgehen bei der Anmeldung: Es wurden am Telefon keine „Therapien“ mehr vereinbart (wie von den Anrufenden gewünscht), sondern nur noch Erstgespräche, nach denen man „weitersehen“ könnte – um damit z. B. den durch Druck ihrer Frauen zu einer Paartherapie „endlich bereiten“ Männern das Kommen zu erleichtern. Nächster Schritt: Es wurde am Telefon darauf hingewiesen, dass wir sehr viel Wert darauf legen würden, dass die Patienten bekommen, was sie suchen – um schon vor dem ersten Gespräch Ängsten von Ratsuchenden entgegenzuwirken, die Kontrolle über die eigene Psychotherapie zu verlieren. Später: dass wir ORS und SRS verwenden, um dies Ziel zu erreichen – um so bereits vor dem Erstgespräch eine kritische Rückmeldung als „erwünschtes Verhalten“ einzuführen. Dann wurden ORS und SRS auf die Website gestellt und bei jeder Anmeldung darauf verwiesen. Und schließlich wurde auf der Website erläutert, welche Bedeutung es für uns hat, unser Angebot auf die Bedürfnisse der Klienten abzustimmen, und wie uns ihre Rückmeldung bei dieser Passung hilft.13 2013 zählten wir dann wieder alle Anmeldungen im psychologischen Bereich für ein Quartal aus: Der Anteil der no-shows war sowohl bei Einzelnen wie Paaren auf 2,7% gesunken (N = 3 von 111 Erstgesprächen)!14 

Ressourcenorientierung steigern

Im Jahr 2001 besuchte Klaus Grawe eine angesehene verhaltenstherapeutisch orientierte Klinik in der Nähe von Heidelberg und äußerte sich zur generellen Arbeit der Klinik sehr anerkennend, bemängelte aber deren geringe Ressourcen-Orientiertheit. Hintergrund dieser Kritik war seine Theorie der fünf Wirkfaktoren von Psychotherapie (Grawe, 1998), von denen einer die Ressourcenaktivierung jeden therapeutischen Handelns ist (Grawe & Grawe-Gerber, 1999). – Dies war für mich eine Anregung, näher zu betrachten, wie ressourcenak- tivierend denn mein eigenes Tun war. Die Kollegen der Psychotherapeutischen Praxisstelle der Universität Bern (geleitet von Klaus Grawe) waren bereit, ihren „Patientenstundenbogen 2000“ zuzusenden, der u.a. sechs Fragen zur Ressourcenaktivierung enthält. Ausschließlich diese Fragen gab ich allen Psychotherapie-Patienten am Ende ihrer Sitzung zum Zeitpunkt T1 und hatte dadurch meinen Ausgangswert. Nach Durcharbeiten von Grawes Monographie (1998) ließ sich operationalisieren, durch welche Angebote in den Sitzungen Ressourcen der Patienten gefördert werden könnten. Dementsprechend imaginierte ich vor jeder Sitzung den jeweiligen Patienten und schaute nach Möglichkeiten von Ressourcen- aktivierung in der bevorstehenden Sitzung. Nach einigen Wochen gab ich die sechs Stundenbogen-Fragen wieder denselben Patienten (T2) nach der jeweiligen Sitzung und zwei Monate später nochmals (T3), um die Stabilität zu überprüfen. Die von den Patienten wahrgenommene Ressourcenorientiertheit der Sitzungen hatte sich deutlich und stabil erhöht (s.a. Linsenhoff, 2003).15 

 

Fazit

Supervision entlastet uns und bringt unterstützende Ideen ein. Verfahrensorientierte Fortbildungen erweitern unser methodisches Repertoire und eröffnen neue Blickwinkel auf die Probleme unserer Patienten. Es gibt aber auch noch eine andere, verfahrensübergreifende Dimension, auf der sich das Ziel der Wirksamkeitssteigerung zu verfolgen lohnt. So konnten diesbezüglich Instrumente vorgestellt werden, die v.a. auf die therapeutische Beziehung und die responsiveness abzielen und deren regelmäßiger Einsatz deutliche Effekte für den Erfolg der Psychotherapie zeigt. Um als Psychotherapeut nachhaltig von Feedback profitieren zu können, kommt es vor allem darauf an, nicht aus Angst davor, „das Gesicht zu verlieren“, möglichen negativen Einschätzungen im Vornherein auszuweichen. Es ist zudem ratsam, sich für die Arbeit mit Feedback bestimmte mess- und überprüfbare Ziele zu setzen. So kann man sich beispielsweise vornehmen, bei einem Patienten niedrige Skalenwerte über die Zeit zu steigern oder bei sich den Anteil von Drop-outs bzw. no-shows zu minimieren.16  Eine Grundhaltung von – wohldosiertem – „professionellem Selbstzweifel“ (s. Nissen-Lie et al., 2017) ist bei alldem die Schlüsseltugend. Sie führt zur Bereitschaft, die kritische Rückmeldung eines Patienten oder eines Experten (z. B. im Rahmen der DP) anzunehmen und das eigene Vorgehen zu überdenken und zu modifizieren. Wer sich auf einen solchen offenen Lernprozess einlässt und – mit den Feedback-Instrumenten seiner Wahl – die ersten konsequenten Schritte wagt, ist auf einem guten Weg, seine Kompetenzen und Fähigkeiten auszubauen, kurzum: auf Dauer ein besserer – wirksamerer – Psychotherapeut zu werden.

 

 

Anmerkungen:

1 Zu der mit der Ausgabe 4/2017 eingeführten geschlechtersensiblen Schreibweise im Psychotherapeutenjournal lesen Sie bitte den Hinweis auf der vorderen inneren Umschlagseite. Bei dieser Ausgabe handelt es sich um ein Heft in der männlichen Sprachform.

2 entfällt

3 So wie uns über lange Jahre die harte Konkurrenz zwischen den Verfahren als Profession gespalten hat, so kann auch diese zweite Dimension trennend gegeneinander verwandt werden. Hill und Castonguay (2017, S. 326) berichten, dass selbst unter wissenschaftlichen Experten die Diskussion über Therapeutenunterschiede „hitzig“ war, weil dieses Thema hochgradig persönlich ist und ein geradezu existenzielles Gewicht hat. – Dennoch: Wir sind auch auf dieser Dimension nur gemeinsam Suchende.

4 Der Psychotherapeut sollte verstehen, die Fragebögen situationsangepasst im Therapiegeschehen zu platzieren, z. B. den Sitzungsbogen schon während der Sitzung einzubringen, wenn ein Patient sein unklares Gefühl zum Therapieverlauf besser im Medium des skalierten Sitzungsbogens artikulieren kann als im direkten Gespräch.

5 Wünschenswert wäre, wenn es auch für ORS und SRS Untersuchungen aus dem deutschsprachigen Raum gäbe – mir sind keine bekannt.

6 Als Beispiel einer in diesem Sinne gescheiterten Einführung von Feedback-Instrumenten kann das Calgary Counseling Center dienen, dessen Leiterin auf das lediglich gelegentliche Ausgeben des OQ-45 mit der strikten Anweisung reagierte, dass fortan für wirklich jede Sitzung die Daten aus dem Fragebogen vorliegen müssten. 40 % der mehr als 150 Psychotherapeuten verließen daraufhin binnen Monaten die Einrichtung (Goldberg et al., 2016, S. 369).

7 Beispielsweise verfügbar unter: https://scott-d-miller-ph-d.myshopify.com/ collections/performance-metrics/products/performance-metrics-licenses-for- the-ors-and-srs [30.01.2020].

8 www.centerforclinicalexcellence.com [30.01.2020]

 9 Selbst im Calgary Counseling Center mit dessen entschiedener Ausrichtung auf FIT und DP musste die von der Leitung gewünschte Praxis suspendiert werden, dass die Supervisoren Feedback von ihren Supervisanden mittels SRS bekamen, „due to supervisors’ discomfort hearing potentially critical feedback from their supervisees“ (Goldberg et al., 2017, S. 214).

10 Ein Beispiel dieser Szenen („hoffnungsloser Patient“) findet sich in einer Präsentation von Daryl Chow ab 41:06 Min. (verfügbar unter: www.youtube. com/watch?v=vxmP03gAfps [30.01.2020]).

11 In der vierten Situationsart („Fix me!“) waren sie besser, aber nicht signifikant. Die Autoren vermuten, dass die Teilnehmendenzahl zu gering war, um Signifikanz zu erreichen. Bei der Untersuchung ist es darüber hinaus als problematisch anzusehen, dass einer der beiden Rater und der Feedback-Geber dieselbe Person waren.

12 Anker et al. (2009, S. 695) bezeichnen in ihrer Paartherapiestudie an einer Familienberatungsstelle eine Rate von 29,6 % no-shows als für diesen klinischen Kontext typisch.

13 Antriebsfeder für diesen Prozess war das Ziel, die no-shows zu reduzieren – aber unabhängig von diesem Motiv dient dies Informieren auf der Website bereits zugleich der Gestaltung der Beziehung zu künftigen Patienten in der pretreatment-Phase und ist deshalb auch für Therapie-Praxen sinnvoll (die nur wenige no-shows haben) s. z. B. https://praxis-linsenhoff.de/ psychotherapeutisches-vorgehen/ [30.01.2020].

14 Bohanske und Franczak (2010, S. 310) schildern, wie in drei ambulanten Kliniken in Arizona innerhalb von vier Monaten die bisherige No-show-Rate von 30–50 % durch ein stärkeres Ausrichten auf die Patientenbedürfnisse um 70 % gesenkt werden konnte.

15 Diese psychotherapeutische Teilkompetenz findet sich auch in der „Taxonomy of Deliberate Practice Activities“ (Chow & Miller, 2015) bei den „client factors“ mit der Aktivitätsfrage: „How do you tap into your client’s strengths, abilities and resources?”.

16 Hill und Castonguay (2017, S. 332–336) fassen auf Basis einer Synopse dreier Konferenzen zum Thema die entscheidenden Variablen für Therapeuteneffekte zusammen und schlagen detailliert vor, was jeder selbst trainieren kann.

 

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