Veröffentlichung 2014

Paartherapie aus der Perspektive der „Feedback orientierten Psychotherapie“

Psychotherapie im Dialog 15, S.50–53, 2014

Feedback-orientierte Paartherapie fügt dem Verfahrens-spezifischen Vorgehen das fortlaufende Gespräch mit dem Paar über sein Befinden und sein Erleben der einzelnen Sitzungen hinzu. Die Werkzeuge, Vorgehensweisen und Herausforderungen werden dargestellt. Anhand zweier Untersuchungen wird illustriert, welche Wirksamkeits-Steigerung Paartherapie damit erfährt.

Paartherapien sind im Vergleich zu Einzeltherapien ‚schwierig‘: die Sichtweise, dass der Andere das Problem ist und sich daher ändern müsse, ist eher die Regel als die Ausnahme; Paartherapien werden häufig erst als letzter Schritt vor einer Trennung angesteuert wenn die Probleme bereits erheblich chronifiziert sind; wenn der Hintergrund eine aufgedeckte Affäre ist, zeigt einer der Partner häufig extreme somatische Reaktionen nach mehrwöchiger Schlaflosigkeit und starkem Gewichtsverlust. Findet die Paartherapie in einer Eheberatungsstelle statt, ist das Klientel häufig Therapie-fern, da die niedrigen Kosten-Beiträge allen Bevölkerungsschichten Zugang erlauben. Auch die individuelle Belastung dieser Paare ist hoch: in einer repräsentativen Untersuchung zur Arbeit von Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen waren bei der Prämessung 50% der Frauen und 30 % der Männer klinisch depressiv und klagten über ein hohes Maß an körperlichen Beschwerden (Klann & Hahlweg 1994) Wie lässt sich bei der Vielzahl von Herausforderungen eine Situation schaffen, die beiden Partnern Erleichterung, Hoffnung und Veränderung erlaubt?

Wie bei jedem Setting ist auch in der Paartherapie der Schlüssel hierfür das Engagement der KlientInnen in der Therapie – hier aber nun von zwei Personen, die z.T. im Konflikt miteinander stehen. Unsere therapeutischen Verfahren mögen sich in Untersuchungen als wirksam erwiesen haben, Paartherapie mag sich generell und in Verfahrensspezifischer Ausprägung als hilfreich erwiesen haben: wir stehen aber mit jedem neuen Paar wieder vor der Herausforderung, ein Gespräch so zu gestalten, dass dieses konkrete Paar in Bewegung kommt und beide Partner sich engagieren.

Feedback-orientierte Psychotherapie nutzt hierfür das Mittel, am Anfang und am Ende jeder Sitzung den KlientInnen ultrakurze Bögen zu geben, auf denen sie anfangs ihr Befinden in der letzten Woche, am Ende ihr Erleben der Sitzung skalieren. Die Werte beider Bögen werden besprochen, um ständig lebendig zu halten, wie die KlientInnen die therapeutische Arbeit erleben und ob diese hilfreich ist. Diese Feedback-Rahmung der Sitzungen lässt die PsychotherapeutInnen völlig frei darin, welches Verfahren sie anwenden oder ob sie verschiedene Methoden integrieren (detaillierter und zu den Voraussetzungen Linsenhoff 2012).

1. Praxis der Feedback-orientierten Paartherapie

Hintergrund der Feedback-orientierten Perspektive ist, dass KlientInnen Selbstveränderer sind und dass Psychotherapie nur dann erfolgreich ist, wenn die Klienten Ideen zur eigenen (bzw. mit dem Partner gemeinsamen) Veränderung bekommen. Der gerade bei Paartherapien auf den Anderen gerichtete Anspruch, dieser solle sich ändern, bzw. der auf den Therapeuten gerichtete Anspruch, dieser möge den Partner ändern, braucht schnell eine Antwort, die die Verantwortung für die Situation wieder auf jeden selbst richtet.

Der Paartherapeut hat neben seiner Verfahrens-bezogenen Vorgehensweise dafür zwei Aufgaben:

  • für diese Therapie eine Feedback-Kultur zu etablieren und
  • das jeweilige Befinden (generell und im Zielbereich) und das Feedback zur therapeutischen Arbeit Routine-mäßig in das Gespräch zu integrieren.
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    1.1. Vor der 1.Sitzung: das Bahnen der Feedback-Kultur

    Wenn also ein Partner bei der Pro Familia Heidelberg anruft, wird er darauf hingewiesen, dass Paartherapie hier eine besondere Rahmung hat: am Anfang und Ende jeder Sitzung werden einfache Bögen ausgefüllt, um damit die Zusammenarbeit zu steuern und ggf. zu korrigieren. Die zukünftigen Klienten werden gebeten, sich diese Bögen bereits im Internet anzuschauen hier und hier. Gerade nicht-akademische KlientInnen können sich so in Ruhe darauf einstellen, wie sie die Bögen ausfüllen können. Darüber hinaus werden sie im Internet kurz über den Sinn des Vorgehens informiert:
    „Wir arbeiten in diesem Bereich etwas anders als üblich: zu Beginn jeder Sitzung bitten wir Sie, einen Bogen auszufüllen, der deutlich machen soll, wie es Ihnen geht. Und am Ende jeder Sitzung bitten wir Sie um Rückmeldung dazu, wie Sie die Sitzung erlebt haben. Beide Bögen sind sehr schnell auszufüllen und helfen uns dabei, unser Vorgehen auf Sie einzustellen. In einer Reihe von Untersuchungen mit inzwischen mehr als 100.000 Klientinnen und Klienten hat sich ein solches Vorgehen sowohl bei Einzel- als auch bei Paargesprächen als deutlich wirksamer erwiesen als Sitzungen ohne so ein Erheben und ohne eine solche Rückmeldung.“ Wer sich detaillierter informieren möchte, kann erweiterte Informationen auf einer gesonderten Seite bekommen.

    Merksatz (MS): Geben Sie dem Paar bereits bei der Anmeldung die Information, dass Kooperation ein Kennzeichen Ihres therapeutischen Stils ist.

    ORS Die am Anfang gegebene Outcome Rating Scale (ORS; Miller & Duncan 2000) enthält vier Analog-Skalen von je 10 cm Länge, auf denen jeweils das Befinden in der letzten Woche angekreuzt wird: je besser desto weiter nach rechts. Die vier Skalen beziehen sich auf das

  • persönliche Ergehen
  • das Befinden in Familie und nahen Beziehungen
  • das Befinden in Beruf und Freundschaften
  • und das Befinden insgesamt.
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    Maximal könnte der Summen-Wert also 40 sein, behandlungsbedürftig sind Personen unter 25.

    SRS Die am Schluss gegebene Session Rating Scale (SRS;Miller et al. 2002) enthält ebenfalls vier Analog-Skalen von jeweils 10 cm Länge mit zwei Polen:

  • ‚Ich fühlte mich nicht gehört, verstanden und respektiert‘ vs. das Gegenteil
  • ‚Wir haben nicht daran gearbeitet und darüber geredet, woran ich arbeiten und worüber ich reden wollte‘ vs. das Gegenteil
  • ‚Die Herangehensweise des Therapeuten passt nicht gut für mich‘ vs. das Gegenteil und
  • ‚In der heutigen Sitzung hat etwas gefehlt‘ vs. ‚Insgesamt gesehen war die heutige Sitzung für mich angemessen.‘
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    Maximal sind also 40 Punkte möglich, der Cut-off liegt bei 36. Ein Wert von 39/40 wird als ‚good‘, ein Wert von 37/38 als fair und ein Wert von 36 oder weniger als ‚poor‘ gesehen.

    1.2. Die erste Sitzung: Integration der ORS- und SRS-Werte ins Gespräch

    Sitzungsbeginn Nach der Begrüßung beginnt also das Erstgespräch damit, sich (neben dem Wahrnehmen von Körperhaltung und Mimik) für jeden der beiden Partner die angekreuzten Werte im ORS anzuschauen bei Gesamtwert und Einzelskalen und dann die Tonlage anzustimmen, die die therapeutische Beziehung grundieren soll.

    Also z.B. wenn beide deutlich oberhalb des Cut-offs von25 liegen „Eigentlich geht es Ihnen beiden ziemlich gut – da wollen wir mal schauen, was trotz dieses Gutgehens Sie unter Druck setzt!“

    Wenn beide sehr niedrige Werte haben, dies sofort anzusprechen: „Sie sind sehr belastet und müssen sehr kämpfen!“

    Wenn eine Skala hoch ist bei sonst niedrigen Skalen „Die dritte Skala haben Sie hoch angekreuzt, das muss eine Entlastung für Sie sein. Was ist es, was da gut läuft in Ihrem Leben?“

    Und natürlich auch deutliche Differenzen im Gesamtwert und in Einzelskalen zwischen den Partnern: „ Eigentlich sind Sie, Herr …, in einer ganz stabilen Situation. Aber Sie, Frau …, sind sehr unter Druck. Was macht denn diesen Unterschied aus?“ usw.

    Dieser Einstieg ins Gespräch wird dann mit den jeweiligen Anliegen und den Hintergründen im Gespräch verwoben.

    Sitzungsende Am Ende des Gespräch wird dann der SRS mit einer Wendung gegeben wie „Sie kennen diesen Bogen ja schon aus dem Internet. Mir ist es wichtig, von Ihnen zu erfahren, wie Sie unsere Zusammenarbeit erlebt haben. Es passiert so viel in einem solchen Gespräch, dass ich das gar nicht Alles erfassen kann. Deshalb ist es mir wichtig, von Ihnen noch kurz zu erfahren, wie es Ihnen ergangen ist.“ Es ist essentiell für den therapeutischen Prozess, dass die KlientInnen die Botschaft erreicht: ‚Mir ist Ihre Sicht unserer Zusammenarbeit wichtig!‘

    Da das Ankreuzen i.d.R. nur wenige Sekunden dauert, ist es gut, noch einen kurzen Blick auf das Ergebnis zu werfen – auch wenn die Zeit knapp ist. Je schlechter die Werte sind, um so deutlicher sollte darauf hingewiesen werden, dass am Beginn der nächsten Sitzung ‚unbedingt‘ darüber gesprochen werden muss, ‚weil ich da etwas übersehen habe‘.
    Für das Gespräch über die SRS-Werte ist es wichtig, weder die KlientInnen noch uns selbst unter Leistungsdruck zu setzen, sondern die Werte als Anregung zum Gespräch und zur besseren Abstimmung zu nutzen.

    Z.B. kann im Erstgepräch das Paar leicht verfehlt werden, wenn wir ein vorgetragenes Anliegen sofort als ein Veränderungs-Anliegen verstehen, während die KlientInnen zunächst nur gehört werden wollten – dieses Verfehlen kann dann nach dem Feedback durch den SRS und anschließendem Versprachlichen der Werte von uns wieder korrigiert werden.

    Ein Teil der KlientInnen kreuzt die vier Skalen intuitiv an, kann den angekreuzten Wert aber anfangs der Therapie nicht gleich versprachlichen: z.B. wird das Kreuz bei der Dimension ‚Ich fühlte mich gehört, verstanden und respektiert‘ bei 7 platziert. Es ist dann sinnvoll, das Interesse zu signalisieren, mehr darüber zu erfahren, woran es noch fehlt – gleichzeitig aber deutlich die gegenwärtigen Grenzen des Ausdrückbaren zu akzeptieren. Häufig steht im Hintergrund dieser Grenzen ein selbstverständliches Anpassen gegenüber Autoritäten oder auch wenig Zugang zu dem, was einen selbst zufrieden macht – also Aspekte, die nicht durch Insistieren des Therapeuten zu ändern sind, bei denen aber regelmäßig mit Zeit und Halt eine Veränderung erreicht wird.

    MS: Machen Sie durch Ihre Gestaltung der therapeutischen Atmosphäre deutlich, dass die Rückmeldung der KlientInnen von Ihnen erwünscht ist und sprechen Sie mit dem Paar regelmäßig über die Therapie!

    Häufig fällt es KlientInnen schwer, ihrem Psychotherapeuten explizit formuliert ein negatives Feedback zu geben. Der SRS erleichtert durch das Ankreuzen, Unzufriedenheit anzudeuten, die dann der Therapeut aufnehmen und durch Nachfragen konkretisieren kann (so dass die Verantwortung dafür, dass ein Explizieren erfolgt, bei ihm liegt). Die amerikanische Literatur verweist darauf, dass KlientInnen dazu neigen, den SRS zu hoch anzukreuzen (=39 – 40). Diese Erfahrung machen wir in der Pro Familia Heidelberg nicht: Werte gleich/unter 32 (also deutlich ‚poor‘) sind insbesondere bei Paar-Erstgesprächen eher die Regel als die Ausnahme.

    Niedrige SRS-Werte Linsenhoff (2012) schildert zwei Fälle mit sehr niedrigen Anfangswerten, die als exemplarisch gesehen werden können:

  • eine Paartherapie, bei der die Frau das Erstgespräch mit 26 (also weit unter dem Cut-off von 36) bewertet: die Erklärung dafür findet sich darin, dass sie nur begrenzten Raum für ihre Ausführungen bekommt und sich dies nach ihren Erfahrungen in einer Langzeit-Einzeltherapie wie ein ‚Nicht-Annehmen‘ anfühlt.
  • ein Paar-Erstgespräch, das der Mann mit 30 bewertet: weder kann er seine erektive Impotenz als psychogen sehen (wie dies seine Frau tut) noch ist die Impotenz überhaupt bedeutsam für ihn zu diesem Zeitpunkt.
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    Ein niedriges Anfangs-Feedback kann allerdings für den Therapie-Verlauf günstig sein: Miller (2014) verweist auf eine eigene Untersuchung (9.000 KlientInnen), in der die Anfangs-Feedbacks (kategorisiert nach poor/fair/good) mit den Feedbacks für die letzte Sitzung kombiniert wurden (dito) und für jede Kombination die Effektstärken berechnet wurden. Dabei zeigte sich, dass die Therapien mit der Kombination poor > good die höchsten Effektstärken aufwiesen (> 1.4!).) In diesen Therapien fühlen sich die KlientInnen wohl, wenn sie ausdrücken, was ihnen fehlt und erleben die Zusammenarbeit als einen Prozess, den sie mitgestalten können. (Zum Vergleich: die ES waren z.B. bei good > poor 0.2, bei good > good 1.0 usw.)

    1.3. Im weiteren Therapie-Verlauf

    Die zweite und jede weitere Sitzung startet also einerseits mit den neuen ORS-Werten für die vorhergehende Woche und – wenn die SRS-Werte des vorigen Gesprächs unter 36 lagen (und nicht mehr besprochen werden konnten) mit dem Erleben der letzten Sitzung.

    Das regelmäßige In-den-Blick-nehmen der ORS-Werte hat folgenden Hintergrund:

  • Ein Teil der KlientInnen verschlechtert sich in Psychotherapie: Hierzu liegen für naturalistische Therapiebedingungen stark differierende Zahlen vor. Wenn man aber zu den Verschlechterungen noch diejenigen KlientInnen hinzurechnet, die keine Veränderung erreichen und einen Teil der drop-outs (die aufgrund Verschlechterung/Nichtveränderung aus der Therapie aussteigen), ist es sicherlich nicht übertrieben anzunehmen, dass ca. die Hälfte aller Psychotherapie-KlientInnen keinen Fortschritt erzielt.
  • ganz im Gegensatz zu unserem Vertrauen in unser klinisches Urteil sind wir PsychotherapeutInnen von uns aus enorm schlecht darin, Verschlechterungen zu erkennen (s. z.B. Lambert 2010), deshalb brauchen wir Hilfsmittel dafür.
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    MS: Vertrauen Sie nicht nur auf Ihre Intuition, dass schon Alles seinen guten Gang geht, Sie könnten sich täuschen!

    Wenn die ORS-Werte gleich bleiben oder sich sogar verschlechtern, ist es wichtig – ohne einen Leistungsdruck aufzubauen – über die Gründe zu reden: sind dafür Therapie-externe Bedingungen verantwortlich oder stimmt in der therapeutischen Arbeit etwas nicht? Hierfür wird der jeweilige SRS genau besprochen: stimmt das Thema? stimmt das Vorgehen? stimmt die therapeutische Beziehung? usw. Ebenso sind SRS-Werte unter 36 Ausgangspunkt für das Explorieren, welche Therapie-Bedürfnisse der KlientInnen eine unzureichende Antwort gefunden haben.

    Konstellationen In Paartherapien differieren am Anfang die SRS-Werte beider Partner häufig voneinander: z.B. ist der eine Partner Therapie-nah und erlebt diese als ein „Heimspiel“, während der Andere in der therapeutischen Situation ‚fremdelt‘; z.B. sieht einer der Partner ‚immer schon‘ die Probleme in der Beziehung, der Andere hat diese noch nie gesehen, kann sich einem Erstgespräch aber nicht mehr verweigern wegen aktueller Verschlechterung; z.B. hat einer eine Langzeittherapie hinter sich und ist es gewohnt, unlimitiert sein Erleben beschreiben zu können und fühlt sich in der so viel begrenzteren Situation einer Paartherapie nicht wohl usw. Aber es gibt auch Therapie-Anfänge, bei denen beide unzufrieden sind mit der Sitzungsgestaltung des Paartherapeuten: z.B. bei Hochkonflikt-Paaren, bei denen jeder moniert, dass er/sie nicht ausreichend Zeit hatte, die Fehldarstellungen des Anderen richtig zu stellen. – Dies Alles sind Konstellationen, die auch ohne SRS erfassbar sind, mit SRS aber eine viel größere Prägnanz und damit Besprechbarkeit gewinnen können.

    MS: Wenn einer der Partner Ihnen (zunächst) durch die Rückmeldung signalisiert, dass ihm/ihr noch viel fehlt in den Sitzungen, erkunden Sie dies immer wieder, damit er/sie sich gesehen fühlt und Ihr Bemühen um bessere Abstimmung spürt. Erliegen Sie nicht der Versuchung, dem Partner mit den höheren SRS-Werten zu zu neigen!

    Neben diesen längeren Linien der Entwicklung der beiden SRS-Werte ist es gut, bei jedem Partner auf ‚Abstürze‘ von einer Sitzung zur nächsten zu achten. KlientInnen lernen sehr schnell, das Ankreuzen zu nutzen, um eine Gefahren-Anzeige zu machen, wenn wir sie in einer Sitzung ‚verloren‘ haben. Allerdings erwarten sie dann auch die Nachfrage: was ist spezifisch in dieser Sitzung nicht so hilfreich gewesen? Wenn diese leichte Eintrübung erfasst, angesprochen und validiert wird, kann es schnell zur ‚Reparatur‘ kommen.

    Das hochbelastete Paar (der Mann mit PTBS, die Frau mit Persönlichkeitsstörung) arbeitet intensiv an einer Verbesserung der Beziehung. Während die Frau mit einem SRS-Wert von 25 (!) begonnen hat, inzwischen aber zwischen 36 und 37 liegt, hat der Mann schnell Werte gleich/größer 36 angegeben: in der neunten Sitzung aber stürzen diese ab auf 15 – ohne dass ich dies in der Sitzung wahrgenommen hätte. Mein Nachfragen ergibt: die intensive Wut der Frau auf ihn in dieser Sitzung und mein Validieren ihrer Wut, hat ihn das Gefühl verlieren lassen, dass ich auch bei ihm bin, wenn er „Mist“ baut. Das Anknüpfen an sein Verlorengehen in dieser Sitzung lässt dann den SRS-Wert in der nächsten Sitzung wieder auf 35 springen.

    Aber auch für das ‚Aufgeben‘ können ORS und SRS hilfreich sein:

  • sei es, dass die ORS-Werte sich einfach nicht bessern – und es sinnvoll ist darüber zu reden, ob das Paar nicht besser einen anderen Psychotherapeuten erprobt
  • sei es, dass die Partner in einem intensiven Machtkampf stehen und jede Empathie des Therapeuten für den Einen sofort zur Bedrohung und Aktivierung des Anderen wird und deshalb überhaupt kein Spielraum für das Gespräch entsteht – und diese Limitierung mit dem Paar besprochen wird
  • sei es, dass durch das Gespräch einer der Partner merkt, dass er an Arbeit an der Beziehung gar nicht mehr interessiert ist, dies bisher im eingespielten häuslichen Ritual der Vorwürfe aber nicht spürbar war. Dann kann im Gespräch weiter gegangen werden: will diese Person eigentlich die Trennung, fürchtet aber die Angst und Schuld eines solchen Schritts? Wenn die Trennung unumgänglich ist: könnte das verbliebene Positive für die Gestaltung der Trennung genutzt werden?
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    1.4. Und wie ist diese Feedback-Rahmung für uns PsychotherapeutInnen?

    Als ich 2002 angefangen habe, mit Befindlichkeits- und Stundenbögen zu arbeiten, nahm ich an, dass dies für mich als Systemiker keinen großen Unterschied machen würde, weil das Einholen von Feedback ja sowieso zu meinem Repertoire gehörte. Aber bald schon wurde klar: es gibt Sitzungen, nach denen möchte man dem SRS ausweichen; es gibt andere Sitzungen, die sich gelungen angefühlt haben und für die man ein positives Feedback erwartet, für die dann plötzlich aber ein irritierend schlechtes Feedback kommt. Feedback ist oft überraschend, manchmal sogar verstörend: Quantifizierung macht einen großen Unterschied zur bloß verbalen Äußerung; und die Entscheidung, immer den Bogen zu geben, macht ebenfalls einen großen Unterschied.

    Untersuchungen verweisen darauf, dass PsychotherapeutInnen dem Gebrauch von Feedback-Instrumenten überwiegend skeptisch gegenüber stehen; und zwar selbst dann, wenn sie die Erfahrung machen, dass die eigenen Therapien wirksamer werden (s. z.B. die unten zitierte Studie von Anker et al. 2009). De Jong et al. (2012) haben untersucht, welche Variablen mit dem Verwenden von Feedback in Zusammenhang stehen: weder mit dem Alter noch mit der Berufserfahrung noch mit der methodischen Richtung der Therapeuten ließen sich Zusammenhänge finden; selbst das ‚Gutfinden‘ („propensity“) von Feedback machte nicht wahrscheinlicher, dass es genutzt wurde. Allein die Entscheidung, Feedback zu verwenden und das Geschlecht waren sichere Vorhersage-Kriterien (Psychotherapeutinnen verwandten viermal häufiger als Psychotherapeuten das Feedback! ).

    Die Autoren fassen zusammen: „It is especially important to pay attention to commitment to use the feedback, which predicts both the rate of change and the likelihood to use the feedback … Unwillingness to use feedback may be due to uneasiness regarding receiving feedback on one’s performance causes. After professional training and licensing, therapists no longer receive structured feedback on their performance. Not using the feedback might be a way to cope with the anxiety of not being a good therapist.” – Es sollten allerdings auch die strukturellen Rahmenbedingungen nicht übersehen werden: sind die PsychotherapeutInnen bereits von dem gegebenen Arbeitsaufwand (Patientenzahl, Bürokratie) überlastet, so werden sie sich gegen jede weitere Aufgabe wehren. Auch ist essentiell, dass dies Instrumente im Dialog zwischen PsychotherapeutIn und KlientIn sind und jede Weitergabe dieser Daten an Außenstehende sofort einen anderen Kontext schaffen würde!

    MS Sich regelmäßig dem Feedback von KlientInnen auszusetzen, ist herausfordernd – aber es erhöht die Wirksamkeit der Paartherapie deutlich!

    2. Empirie

    Mittlerweile liegen eine Vielzahl von Untersuchungen vor, die die Effektstärken von üblichen Einzeltherapien mit Einzeltherapien unter Feedback-Bedingungen vergleichen. Lambert (2010) nennt als Ergebnisse Effektstärken für die FB-Bedingung (unterschiedliche Feedback-Systeme, unterschiedliche Populationen) von 0.34 – 0.92. Diese Wirkungen zeigen sich bei allen KlientInnen, insbesondere aber wirkt sich das Feedback auf die Not-on-track-Fälle (=Verschlechterungen und Nicht-Veränderungen) aus.- In RCTs werden bei Paartherapien Effektstärken von .61 bis .86 erreicht (Nachweise s. Anker et al. 2009); aber lassen sich diese im therapeutischen Alltag replizieren und erhöht ein Feedback-Rahmen diese weiter?

    Anker-Studie Eine sehr illustrative Studie zu diesen Fragen von Paartherapie mit ORS/SRS unter naturalistischen Bedingungen haben Anker et al. (2009) vorgelegt: In einer Familienberatungsstelle in Norwegen (öffentliche Förderung, keine Kosten für die Paare) wurden über den Zeitraum von zwei Jahren alle Paare (N=205) zufällig auf zwei Bedingungen aufgeteilt: eine Hälfte bearbeitete den ORS im Sekretariat und die TherapeutInnen erfuhren die Ergebnisse zu keinem Zeitpunkt (und kein SRS wurde ausgefüllt); bei der anderen Hälfte sahen die TherapeutInnen die ORS- und SRS-Werte und bezogen diese ins Gespräch mit ein. Die 10 erfahrenen (und unselegierten) TherapeutInnen hatten unterschiedliche therapeutische Orientierungen und sahen sowohl die Paare unter der ORS/SRS-Feedback-Bedingung als auch die anderen Paare. Vorgaben über die Dauer der Paartherapie oder für methodische ‚Sauberkeit‘ oder Konstanz gab es nicht. Alle TherapeutInnen waren der Meinung, dass ihre bisher übliche Art, Feedback zu erfragen, genauso wirksam sei wie es ORS und SRS sein würden.

    Entwickelten sich die Werte der Paare ohne Feedback (FB) von 18,6 vor der 1.Sitzung zu 21,7 bei der letzten Sitzung und 24,6 beim Follow-up nach 6 Monaten, so waren die Werte unter der FB-Bedingung 18,1 – 26,4 – 28,3 – ein sehr deutlicher Unterschied! (ES der Paartherapie unter TAU war .64, unter Feedback-Bedingung 1.14, also ein Unterschied von .50!) Obwohl die Paare zu Beginn der Therapie in jeder Hinsicht vergleichbar waren, waren zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung in der FB- Bedingung noch 81,6% zusammen, in der Bedingung ohne FB 65,8% , d.h. die Trennungsrate war doppelt so hoch! Und die zusammengebliebenen Paare in der FB-Bedingung waren deutlich zufriedener mit ihrer Partnerschaft als in der Bedingung ohne FB.

    Diese Differenzen sind auch deshalb bemerkenswert, weil die TherapeutInnen in beiden Bedingungen arbeiteten, d.h. sie waren nur dann wirksamer, wenn sie die Werte von ORS und SRS kannten, ihre Wirksamkeit erhöhte sich ohne Bögen aber nicht! Das Feedback wirkte sich je nach Therapeut unterschiedlich aus: diejenigen TherapeutInnen, die ohne Feedback am wenigsten wirksam waren, profitierten sehr viel mehr vom Feedback als die Wirksamsten.

    Reese et al. (2010) haben eine vergleichbare Studie über Paartherapie bei 46 amerikanischen Paaren vorgelegt, die in einer Ausbildungs-Klinik behandelt wurden: die Verbesserung betrug hier 8,3 Punkte bei der Feedback-Bedingung und 3.1 bei TAU; der Effektstärken-Unterschied zwischen beiden Bedingungen war .48. Viermal so viel Paare erreichten in der FB-Bedingung klinisch signifikante Veränderung als in der TAU-Bedingung – alles sehr ähnliche Ergebnisse wie in der Anker-Studie.

    Fazit für die Praxis

    Dass therapeutische Verfahren wissenschaftlich anerkannt sind, liefert uns keine Sicherheit in der je konkreten Paar-/Einzeltherapie. Die Verfahren geben uns einen Anker im komplexen Umfeld von Paartherapien. Der andere Anker ist die Rückmeldung des Paares dazu, ob der Prozess hilfreich ist. Ohne eine solche regelmäßige Rückmeldung sind wir gefährdet, die Bedürfnisse des konkreten Paares zu übersehen und stattdessen unsere klinische Wahrnehmung zu wichtig zu nehmen.

    Literatur

    Anker M. Duncan B. Sparks J. The effect of feedback on outcome in marital therapy. Journal of Consulting and Clinical Psychology 2009; 77: 693-704

    De Jong K, van Sluis P, Nugter MA et al. Understanding the differential impact of outcome monitoring: Therapist variables that moderate feedback effects in a randomized clinical trial. Psychotherapy Research 2012; 22: 464 – 474

    Klann N & Hahlweg K. Beratungsbegleitende Forschung – Evaluation von Vorgehensweisen in der Ehe-, Familien- und Lebensberatung und ihre spezifischen Auswirkungen. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Band 48.1, Stuttgart Berlin Köln: Kohlhammer; 1994

    Lambert M „Yes, it is time for clinicians to routinely monitor treatment outcome“. In: Duncan BL, Miller SD, Wampold BE, Hubble MA, eds. The heart and soul of change. Delivering what works in therapy. 2nd ed. Washington: American Psychological Association; 2010: 239 – 266

    Linsenhoff A. Therapeutisches Arbeiten mit einem einfachen Feedback-System. Psychotherapie im Dialog 2012; 13: 97-102

    Miller SD. REACH: Pushing your clinical effectiveness to the next level. Präsentation auf scottdmiller.com; Stand: 15.03.2014

    Miller SD, Duncan BL. The Outcome Rating Scale. Chicago: 2000

    Miller SD, Duncan BL, Johnson LD. The Session Rating Scale 3.0. Chicago: 2002

    Miller SD, Duncan BL. The outcome and session rating scales. Administration and scoring manual. Chicago: Institute for the Study of Therapeutic Change, 2004

    Reese RJ, Toland MD, Slone NC et al. Effect of client feedback on couple psychotherapy outcomes. Psychotherapy: Theory, Research, Practice, Training 2010; 47: 616 – 630