Veröffentlichung 2022

Deliberate Practice und Psychotherapie. Anfänge

Psychotherapeutenjournal 3/2022 

Zusammenfassung:

In 2006 beginnt auf Initiative von Scott Miller das Erkunden, Ideen von Deliberate Practice auch im Bereich Psychotherapie fruchtbar zu machen. Das Ziel ist dabei, ein Vorgehen zu entwickeln, mit dem alle PsychotherapeutInnen in ihrem Berufsleben am Erhöhen ihrer Wirksamkeit arbeiten können. Der aktuelle Stand der Bemühungen und die themenrelevante Forschung wird dargestellt. Drei Monographien beschreiben Vorgehensweisen, mit denen dies selbst oder in der Intervisionsgruppe verfolgt werden kann; eine Konsultation illustriert das geleitete Vorgehen. Abschließend werden diese aktuellen Ansätze zum Teil kritisch, zum Teil zustimmend gewürdigt. Das Thema der eigenen Wirksamkeit evoziert bei uns Gefühle, mit denen behutsam umgegangen werden muss.

Deliberate Practice and Psychotherapy. Beginnings

Beginning in 2006 on the initiative of Scott Miller the scientific concept of deliberate practice is transferred to psychotherapy. This approach aims at giving certified psychotherapists a tool to increase their effectiveness. The organizational development and the relevant research concerning deliberate practice is described. Three monographies show ways how to apply these principles in a self-directed way or in a intervisiongroup; a consultation demonstrates the guided approach. The article closes with a partly critical, partly approving evaluation. It is stressed that dealing with the question of the own effectiveness is emotional very evocative and therefore has to be dealt with in a caring, subtle manner.

 

Im folgenden Beitrag soll nachgezeichnet werden, welchen Weg ‚Deliberate Practice‘, ein aus der Expertise-Forschung kommendes Konzept zur Ergebnissteigerung, im Psychotherapie-Feld[1] genommen hat (1.) und welche Forschung es zu diesem Thema bisher gibt (2.). Anhand der drei vorliegenden Monographien zu Deliberate Practice wird illustriert, welche Ansatzpunkte und Vorgehensweisen hierfür gewählt werden können (3.); und die Beschreibung einer Konsultation in Deliberate Practice soll veranschaulichen, wie dies Vorgehen (auch im Unterschied zu Supervision) arbeitet (4). Abschließend wird das Konzept bewertet und es werden Ideen vorgestellt, welche Anregungen wir für unsere Arbeit daraus gewinnen können (5.). Wie im Titel bereits angedeutet, befindet sich Deliberate Practice in der Psychotherapie erst in einer Erkundungsphase und dies zudem primär in den USA. Allmählich erreicht Deliberate Practice auch unseren Sprachraum – dieser Beitrag soll eine erste inhaltliche Darstellung und Auseinandersetzung liefern. Wenig ist bisher durchdefiniert, es braucht eher Neugier und Experimentierfreudigkeit.

  1. Wie das Konzept ‚Deliberate Practice‘ in die Psychotherapie kam und welche Impulse bisher daraus entstanden sind

Im Jahr 2006 sitzt Scott Miller im Flugzeug beim Rückflug von einem seiner Workshops zu Feedback Informed Treatment (s. Linsenhoff 2020). Seit sechs Jahren ist er zusammen mit Barry Duncan und Mark Hubble, den Mitgründern des Institute for the Study of Therapeutic Change (ISTC)[2] auf der Suche nach Erklärungen danach, worauf die starken Effektstärken-Unterschiede zwischen verschiedenen PsychotherapeutInnen (also unabhängig von den verwandten Verfahren) zurück zu führen sind (zum Überblick: Baldwin & Imel, 2013; Wampold, 2001, S. 184ff[3]). Diese Forschung hat sich insbesondere auf die genaue Beobachtung und Analyse von sog. Supershrinks konzentriert (PsychotherapeutInnen mit durchgehend sehr hohen Effektstärken) und wurde nun abgebrochen ohne hinreichende Antworten gefunden zu haben.[4] Aus Langeweile blättert er durch eine Ausgabe des Wirtschaftsmagazins ‚Fortune‘ und wird von einem Artikel über Anders K.Ericsson und dessen Forschung  elektrisiert: als Experte für Expertise[5] hat dieser in Frage gestellt, dass ‚Talent‘ die Quelle von herausragenden Erfolgen ist, sondern hat in unterschiedlichsten Bereichen und Professionen wie Athletik, Schach, bei Chirurgen, Piloten, Pianisten usw. untersucht, wie sich herausragende Leistungen erreichen lassen (Miller et al., 2007, S. 29). Für das Vorgehen, mit dem diese Expertise erreicht wird, hat er den Begriff ‚Deliberate Practice‘ geprägt.

Dieser englische Begriff soll hier im Weiteren benutzt werden. Eindeutschungen wie ‚Reflektierte Praxis‘ (als Titel der ersten Tagung im deutschsprachigen Raum zu Deliberate Practice)[6], ‚übende Praxis‘[7] oder ‚bewusstes Lernen‘ (Ericsson & Pool, 2016) lassen jeweils Teile der Definition aus, die aus der Sicht Ericssons Deliberate Practice konstituieren.

Diese wesentlichen Bestandteile sind: “… individualized training activities specially designed by a coach or teacher to improve specific aspects of an individual’s performance through repetition and successive refinement. To receive maximal benefit from feedback, individuals have to monitor their training with full concentration, which is effortful and limits the duration of daily training.” (Ericsson & Lehmann, 1996, S. 278f).

Mit dieser zufälligen Lektüre im Flugzeug beginnt eine intensive Zusammenarbeit zwischen Miller und Ericsson, die Deliberate Practice-Ideen in das Feld Psychotherapie transponiert, Forschung anregt und mit den ‚Achieving Clinical Excellence‘-Konferenzen in Kansas City 2010 (Linsenhoff, 2011), in Amsterdam 2013 und Östersund 2018 den konzeptuellen und Forschungsfortschritt dokumentiert; auf jeder dieser Tagungen hält auch Anders K.Ericsson selbst einen Keynote-Vortrag (Ericsson, 2010; Ericsson, 2013).- 2009 gründet Scott Miller das ‚International Center for Clinical Excellence‘ mit einem eigenen Internet-Portal, auf dem nach kurzer Zeit bereits mehr als 10.000 PsychotherapeutInnen aus verschiedenen Ländern in einer Vielzahl von Gruppen ihre Bemühungen um ein Verbessern der eigenen beruflichen Praxis miteinander diskutieren, Videos hochladen und sich gegenseitig anregen.

In 2017 veröffentlicht Tony Rousmaniere sein Ringen mit Deliberate Practice-Ansätzen in seiner eigenen therapeutischen Praxis (Rousmaniere, 2017), 2019 folgt von ihm als zweite Monographie ein Übungsbuch zur Auseinandersetzung mit intrapsychischen Hürden und deren Bearbeitung mit Deliberate Practice (Rousmaniere, 2019). In 2020 folgen Scott Miller, Mark Hubble und Daryl Chow mit ihrer Monographie (Miller, Hubble & Chow, 2020).

Im Sommer 2020 gründen Tony Rousmaniere und Alexandre Vaz das ‚Deliberate Practice Institute‘ und bieten im Februar 2021 den ersten internationalen Workshop via Zoom an (Vaz & Rousmaniere, 2021b); als Vorbereitung dafür publizieren sie ein Grundlagenbuch zu Deliberate Practice für PsychotherapeutInnen (Vaz & Rousmaniere, 2021a). Scott Miller hat in seine verschiedenen Fortbildungsformate zu Feedback Informed Treatment in den letzten Jahren auch das Thema Deliberate Practice integriert. – Und ganz aktuell geben Rousmaniere und Vaz für die American Psychological Association eine Buch- und DVD-Reihe zu Deliberate Practice in verschiedenen psychotherapeutischen Verfahren heraus (beginnend 2021 mit ‚Emotion-Focused Therapy‘, gefolgt von ‚Cognitive Behavioral Therapy‘ und im Herbst 2022 von weiteren Verfahren).

Zwar werden diese Ideen inzwischen auch von Universitäten[8] und Ausbildungs-Instituten (auch in Deutschland) teilweise aufgenommen, die obigen Aktivitäten zielen aber primär auf die berufliche Entwicklung von bereits ausgebildeten KollegInnen im Sinne eines Berufslebens-langen Lernens und stellen neben Weiterbildung und Supervision einen dritten Bereich der Qualitäts-Entwicklung beruflicher Praxis dar. In diesem Sinne zentriert sich auch dieser Text vorrangig auf Deliberate Practice nach der Ausbildung.

  1. Forschung mit Relevanz für Deliberate Practice und Psychotherapie

Nun wäre Forschung dazu, wie PsychotherapeutInnen wirksamer werden, gar nicht nötig, wenn dies automatisch mit mehr Berufserfahrung (incl. Supervisionen, Weiterbildungen usw.) passieren würde – und häufig wird ja auch genau das unter uns KollegInnen und in der Öffentlichkeit angenommen. In einer Longitudinal-Studie haben Goldberg et al. (2016a) diese Frage an 170 PsychotherapeutInnen (mit 6.591 PatientInnen) eines Therapie-Zentrums einer US-Universität untersucht. In der naturalistischen Studie variierte der für die TherapeutInnen beobachtete Zeitraum zwischen 0.44 und 17.93 Jahren (X=4.73 Jahre[9]), die ‚Erfahrung‘ wurde nicht nur für die Zeit, sondern auch für die Zahl der jeweils behandelten PatientInnen berechnet. Während mit zunehmender Berufserfahrung die Quote der frühabbrechenden PatientInnen signifikant abnahm, ging die therapeutische Wirksamkeit aber (entgegen obiger Annahme) in einem sehr geringen, aber signifikanten Maß konstant zurück (0.012 pro Jahr)[10]. Dieser generelle Effekt ließ sich aber differenzieren: 39,4% der teilnehmenden TherapeutInnen wurden kontinuierlich besser, der Rest verschlechterte sich in stärkerem Maß als die genannten 0.012.

Gegenstück zu dieser Untersuchung ist die Studie von Goldberg et al. (2016 b), in der die Entwicklung der Wirksamkeit der MitarbeiterInnen des Calgary Centers of Counseling beforscht wurde, eines Zentrums, das schon seit 2004 das Ziel verfolgt, die Wirksamkeit der Psychotherapien zu erhöhen (zu den einzelnen Prozess-Schritten s. Goldberg et al., 2017). Über den Untersuchungszeitraum von 2008 bis 2015 wurde für die 153 PsychotherapeutInnen des Zentrums (mit 5.128 PatientInnen) eine kleine, signifikante Steigerung von 0.035 pro Jahr festgestellt (also dreimal höher als das Nachlassen in der Goldberg 2016 a-Studie). Anders als in der oben genannten Studie fanden sich hier bei der Wirksamkeit der PsychotherapeutInnen aber nicht sowohl eine sich verschlechternde wie eine sich verbessernde Gruppe, sondern ‚therapists changed uniformly over time‘.[11] Diese Verbesserung der Wirksamkeit zeigte sich schon vor diesem Untersuchungs-Zeitraum in den internen Daten des Zentrums am Verringern der Quoten zu Verschlechterungen und unverändertem Zustand bei den PatientInnen und beim Steigern der Verbesserungs- und Heilungsquoten über die Zeit (Babins-Wagner, 2013, Folie 34).

Eine erste Erkundungs-Studie zu Deliberate Practice hat Daryl Chow (Chow et al., 2015) vorgelegt: 69 PsychotherapeutInnen des britischen ‚Practice Research Networks‘ beteiligten sich über vier Jahre daran mit ihren Daten zu 4.580 PatientInnen. Nach ihren Therapie-Ergebnissen ließen sich die TherapeutInnen in Quartile einteilen, bei denen die wirksamsten (also im 1.Quartil) eine Effektstärke von 1.5 hatten und die KollegInnen im 4.Quartil eine Stärke von .76.[12] Der Einladung zu einer Online-Befragung folgten 17 der beteiligten TherapeutInnen – Zusammenhänge zwischen Effektstärken und Alter, Dauer der beruflichen Tätigkeit, Verfahrens-Orientierung, Geschlecht usw. ließen sich nicht finden. Das Zentrum der Befragung war aber eine Liste von Therapie-bezogenen Aktivitäten (insgesamt 20 von ‚Supervision‘ bis ‚Fallkonzeptualisierung‘) und Nichttherapie-bezogenen Aktivitäten (insgesamt fünf von ‚Ausruhen‘ bis ‚Selfcare‘). Diese Liste von denkbaren Deliberate Practice-Tätigkeiten wurde nach Auswertung der Forschung zu Deliberate Practice und direkter Anregung durch Anders Ericsson erarbeitet. Die befragten TherapeutInnen sollten beantworten, wieviel Zeit sie mit der jeweiligen Aktivität verbringen und welchen Stellenwert sie der jeweiligen Tätigkeit für die Verbesserung ihrer klinischen Fertigkeiten zuschreiben. Die Ergebnisse:

  • vier Aktivitäten wurde eine signifikant höhere Bedeutung zugeschrieben als anderen: ‚über schwierige Fälle allein nachdenken‘, ‚vergangene Sitzungen noch einmal allein nachreflektieren‘, ‚zukünftige Sitzungen allein durchgehen‘ und ‚Teilnahme an Fortbildung zu spezifischen Therapie-Modellen‘
  • beim Ausmaß, in dem dies praktiziert wurde, ergaben sich deutliche Unterschiede je nach Quartil: während die TherapeutInnen des 1.Quartils pro Woche 7,39 Stunden mit den ersten drei Aktivitäten (=die allein durchgeführten) verbrachten, setzten die TherapeutInnen des 2. bis 4. Quartils (zusammengefasst) 2,63 Stunden pro Woche ein.[13] (Zur Kritik an dieser Studie s. Linsenhoff, 2020, S. 9).

Eine zweite Studie von Daryl Chow (Jones, 2019) hat das gezielte Erhöhen einer spezifischen Kompetenz von PsychotherapeutInnen überprüft: durch wiederholtes individualisiertes Feedback zu dem jeweiligen Verhalten in einer ‚schwierigen Situation‘. Hierfür hat Chow sich die Forschung von Anderson et al. (2009) über ‚Facilitative Interpersonal Skills‘ (FIS) zunutze gemacht: dieser hatte nachgewiesen, dass die Therapie-Ergebnisse von TherapeutInnen um so besser sind, je höher deren Fertigkeiten in Empathie, Wärme, emotionalem Ausdruck usw. sind: insgesamt acht Skalen, die die Autoren unter dem Begriff ‚Facilitative Interpersonal Skills‘ zusammenfassten. Chow ließ nun 39 TherapeutInnen (rekrutiert aus Singapur, Australien und über das Portal des International Center for Clinical Excellence; Berufserfahrung durchschnittlich 12 Jahre) jeweils eine von vier schwierigen Therapie-Situationen anschauen (Hoffnungslosigkeit mit der Therapie; Desinteresse an der Therapie, da ja nur die Mutter diese wolle; ein nur intellektualisierender Patient; ein Patient, der erwartet vom Therapeuten verändert zu werden, weil der ja Experte sei); die eigene therapeutische Antwort darauf wurde als Video aufgezeichnet. Zu diesem Video bekamen sie zeitnah ein Feedback per mail, das sich daran orientierte, wie die jeweilige Reaktion anhand der ‚Facilitative Interpersonal Skill Task and Rating Method‘ (Anderson & Patterson, 2013) geratet wurde; daraus abgeleitet wurde ihnen eine Verbesserung vorgeschlagen. Dieser Prozess (Anschauen der Szene – Reagieren – Rückmeldung zur Reaktion) wurde zweimal wiederholt. Dann erfolgte ein vierter Durchlauf mit einer ähnlichen Szene und einem anderen Schauspieler, um zu überprüfen, ob durch die vorherigen Durchläufe die Kompetenz zum Umgang mit der spezifischen Schwierigkeit gewachsen war. Die TeilnehmerInnen der Kontrollgruppe (N=32) schauten hingegen die Szenen in der gleichen Häufigkeit an und wurden zum Reflektieren über ihre Reaktion eingeladen. Dieser Prozeß war für jeden Therapeuten/jede Therapeutin und alle vier Szenen über drei Wochen verteilt. Es zeigte sich, dass das reine Anschauen der jeweiligen Szene und das Reflektieren darüber die FIS-Werte nicht erhöhte. Das TherapeutInnen-spezifische Feedback in der Experimentalgruppe erhöhte hingegen diese Werte, in drei der vier Szenen auch signifikant[14].

Auch von einer Arbeitsgruppe von Anderson selbst liegt inzwischen eine Untersuchung zu Deliberate Practice vor, bei der ein Teil der TeilnehmerInnen ausgebildete PsychotherapeutInnen waren (Perlman et al., 2020). Diese Arbeitsgruppe von Psychodynamikern verfolgte mit einer Kombination von ‚Alliance-Focused Training‘ und ‚FIS-Training‘ das Ziel, Kompetenzen zu verbessern, um so bessere Therapie-Ergebnisse zu ermöglichen. Dafür wurden die Ergebnisse von TeilnehmerInnen eines (kurzen) DP-Trainings in Kleingruppen mit denen von TeilnehmerInnen eines herkömmlichen Trainings verglichen. Dabei zeigte sich eine signifikante Überlegenheit („large effect improvements“) des DP-Trainings für die Dimensionen Empathie, Bündnisfähigkeit und Aufgreifen von Spannungen und Krisen, also bei den Ziel-Kompetenzen des Trainings. – Westra et al. (2021) haben bei PsychotherapeutInnen (Berufserfahrung X= 4,2 Jahre) ein übliches Workshop-Format mit einem Deliberate Practice-Format (also ebenfalls Gruppen-Format!) verglichen: während beide Formate beim Selbstrating zu gesteigerter Kompetenz führten, war beim Fremdrating die DP-Form der üblichen Form überlegen; besonders auffallend war, dass das bekannte Nachlassen der gelernten Fertigkeiten nach vier Monaten im zweiten Format nicht auftrat.

  1. Wie können wir uns selbst mit Deliberate Practice beschäftigen?

Wenn aus diesen Untersuchungen klar geworden ist, dass es möglich ist, die eigene Wirksamkeit zu erhöhen, wie können wir das nun angehen? Ausgangspunkt ist dabei das Eingestehen, dass wir ganz am Anfang von Deliberate Practice in Psychotherapie stehen[15] und das Übertragen der DP-Prinzipien auf Psychotherapie kein triviales Unterfangen ist:  Pianisten, professionelle Schachspieler und Athleten erbringen ihre Performanz in der Öffentlichkeit und bekommen dadurch ständig Rückmeldung zu ihren Fertigkeiten – wir hingegen handeln im geschützten Rahmen des Therapie-Raums. Für diese drei Berufsfelder gibt es bereits lange etablierte Trainingsformen zur Steigerung der Performanz (die natürlich immer wieder verbessert werden) – bei uns gibt es typischerweise eine Verfeinerung der Verfahrens-Anwendung und ein Erweitern der Perspektiven ohne Bezug zur Wirksamkeit. Und bei diesen drei Feldern (als Beispiele, an denen die DP-Prinzipien entwickelt wurden) zeigt sich die Verbesserung der Fertigkeiten an den jeweils eigenenErgebnissen, während diese sich bei uns am Grad der Veränderung von Anderen, nämlich den PatientInnen zeigt.

Deliberate Practice in Psychotherapie gehört in den weiteren Kontext, dass 1. wir uns Verfahrens-übergreifend entwickeln (Stichwort ‚Responsiveness‘ s. Norcross & Wampold, 2019) und 2. diese Entwicklung von der Wirkung auf die PatientInnen her bewertet wird. Diese Wirkung können wir direkt bei unseren PatientInnen systematisch und regelmäßig erfragen und entsprechend deren Feedback dann unser Herangehen modifizieren – dies ist der Ansatz der Feedback-orientierten Rahmung von Psychotherapie (s. Linsenhoff, 2020). Aber Deliberate Practice geht darüber hinaus: nämlich außerhalb der Sitzungen Zeit für gezieltes Üben einzuräumen. Aber was genau üben? Während z.B. der Pianist einerseits spezifische auf ihn zugeschnittene Aufgaben von seiner Lehrerin bekommt und andererseits für sein Fertigkeitslevel passende Übungen aus etablierten ‚Schulen‘ macht, sind wir erst in einem Suchprozess danach, was genau unsere jeweilige Wirksamkeit erhöhen könnte; ‚Lehrerin‘ für die individualisierte Entwicklung könnten diejenigen sein, die schon länger an diesem Strang suchend arbeiten.

Da dies aber erst eine Handvoll Personen sind, wird eine persönliche Anleitung für die meisten KollegInnen zur Zeit nicht realistisch sein. Deshalb bietet es sich an, die vorhandenen Monographien als Pool von Anregungen für geeignete Übungsrichtungen zu nutzen.

In „Deliberate Practice for Psychotherapists. A Guide to Improving Clinical Effectiveness“ zeichnet Rousmaniere (2017) seinen Weg seit 2006[16] nach als er realisierte, dass er nur 50% seiner PatientInnen weiterhelfen kann – weil die anderen 50% die Therapie abbrechen, sich verschlechtern oder unverändert bleiben. Das Buch beschreibt zunächst sehr persönlich seinen Weg: von Zweifeln an seiner bisherigen Überzeugung, dass das eigene psychodynamische Modell allen anderen Verfahren überlegen sei über das Kennenlernen anderer Verfahren hin zu sehr intensiver Schulung in einem bestimmten Modell psychodynamischer Kurztherapie – ohne dass diese Bewegungen zu einem Reduzieren der 50% geführt haben. Wichtig dabei: durchgängig war er in dieser Zeit mit seiner Supervision und den SupervisorInnen einverstanden. Sodann hat er drei PsychotherapeutInnen, die er in ihren Videos als besonders wirksam wahrgenommen hat, dazu interviewt, wie sie diese Kompetenz erreicht haben. Einen von diesen (einen Psychodynamiker) hat er als Coach gewonnen und mit ihm als Auftrag verabredet, von ihm (TR) Übersehenes in seinen Videos anzusprechen – dementsprechende Skills zu trainieren – und diese auch als Hausaufgabenzu verfolgen. Erstmals bei diesem Schritt hatte er den Eindruck, dass er Verschlechterungen und Stagnationen verbessern konnte. Da er sich diese Bewegung für alle seine 50% ‚Fehlschläge‘ wünschte, dies zeitlich und finanziell aber nicht machbar war, ging er auf die Suche danach, wie er allein diesen Prozeß verfolgen könnte – ohne Feedback und Übungsvorschläge durch einen Coach.

Dafür untersuchte er Deliberate Practice-Praktiken in unterschiedlichen Feldern mit Relevanz für die Psychotherapie: Medizin, Virtuosen-Ausbildung, Notfall-Management und spirituelle Praktiken. Auf diesem Hintergrund entwickelte er Übungen mit dem Schwerpunkt auf ‚Basic skills‘, also den grundsätzlichen Fertigkeiten, eine therapeutische Beziehung zu etablieren, sich auf die PatientInnen feinfühlig einzustimmen und die eigene emotionale Vermeidung im therapeutischen Kontakt zu regulieren. Das Vorgehen aller Übungen beruht auf dem wiederholten Betrachten eines eigenen Sitzungs-Videos und dem Gewahrwerden der eigenen Gedanken, Gefühle und körperlichen Reaktionen während des Anschauens: mit dem Ziel, die inneren Reaktionen auf die bewusste Ebene zu holen, die während der Sitzung durch die Konzentration auf die PatientInnen eher leicht in den Hintergrund rutschen. Und dabei auch der eigenen Tendenz zu ‚experiential avoidance‘ gewahr zu werden – dem Ausweichen vor Angst, Zweifel, Ärger, Schuldgefühlen usw. bei uns selber. Für sechs unterschiedliche Übungs-Perspektiven werden zunächst die empirischen Grundlagen genannt, dann präzise Instruktionen gegeben, dann persönliche Beobachtungen genannt (wie z.B. „For the first few weeks almost everything I noticed when watching the video was unpleasant: tension, anxiety, self-attacking thoughts, urges to avoid the exercise etc. …“ aao, S. 129) und allgemeinere Anmerkungen hinzugefügt (wie z.B. „Common responses are that therapists want to avoid the exercise, thinking they are supposed to be super relaxed and trying to force themselves to feel that way, feeling ashamed of and criticizing themselves for their experiential avoidance, and not wanting to acknowledge their avoidance to coaches or colleagues.” aaO, S. 129f).

Diese Übungs-Anleitungen werden gerahmt von grundsätzlichen Hinweisen zur Übungs-Praxis wie z.B. ‚aus welchen Quellen Hinweise holen, dass die eigene Übungsrichtung passt?‘ ‚wie dies zeitlich organisieren?‘, ‚wie dem Wunsch sich zu drücken widerstehen und wie ‚dranbleiben‘?‘ usw. Und ein eigenes Kapitel behandelt „Advice for Mid- and Later Career: Lifelong Learning”. Über allen Ausführungen steht seine Empfehlung “Take what works for you, and leave what doesn‘t.” (aaO, S. 111).

Während dies Buch ausführlicher referiert wurde, da es den Prozeß zu und in Deliberate Practice nachvollziehbar macht, sollen die beiden anderen Monographien nur Schlaglicht-artig beschrieben werden. Mit „Mastering the Inner Skills of Psychotherapy. A Deliberate Practice Manual“ (2019) vertieft Rousmaniere einen Aspekt aus dem 2017-er Buch: hier konzentriert er sich auf Übungen, die es uns erlauben sollen, auch dann bei den PatientInnen eingestimmt, empathisch und aktiv zu bleiben, wenn diese Unwohlsein in uns auslösen. Das Ziel ist, psychisch elastisch und im Kontakt zu bleiben statt uns innerlich abzuwenden, das Thema zu wechseln, zu argumentieren, zu ‚predigen‘ usw. Diese psychologische Elastizität (im Englischen ‚psychological capacity‘) wird erweitert, wenn wir uns Stimuli prolongiert aussetzen, die wir gerne vermeiden würden. „… practicing internal approach behaviors with stimuli that mimic therapy conditons. The goal of this training is to gradually (and self-compassionately) increase our inner skills and psychological capacity so we can perform better for our clients.”(aaO, S. 23f).

Startpunkt ist hier immer das Betrachten einer Stelle eines eigenen Therapie-Videos, an der wir in der Sitzung überlastet waren, und das aufmerksame Gewahrwerden der eigenen Gedanken und Gefühle, Körper-Reaktionen und Bedrängungen (‚urges‘) beim Anschauen. Startpunkt kann aber auch der Stimulus durch ein kurzes Youtube-Video sein, das uns berührt (geeignete Videos werden genannt). Von da aus führt das Buch dann die Leserin durch gestufte Trainingsschritte zu höherer psychischer Elastizität.

Während sich beide Bücher Rousmanieres durch kollegiale Nähe auszeichnen, wählt „Better Results. Using Deliberate Practice to Improve Therapeutic Effectiveness“ (2020) von Miller, Hubble und Chow einen anderen Ansatz: in stringenter Argumentation leiten sie ab, warum am Anfang jeder Deliberate Practice das Erheben der eigenen Daten stehen sollte. Um über hinreichend verlässliche Daten zu verfügen, empfehlen sie mittels der nächsten 60 Therapien ein Set von acht verschiedenen Werten zu erheben (z.B. von Effektstärke über Verschlechterungs-Rate bis zu durchschnittlichem Wert in der Session Rating Scale nach der ersten Sitzung; S.64 – 75), für die sie jeweils Benchmark-Daten zum Vergleich angeben. –  

Als zweiten Schritt haben sie mit der ‚Taxonomy of Deliberate Practice Activities‘ (TDPA; Chow & Miller 2020a, s.a. 2020b) ein Raster entwickelt, anhand dessen mit Blick auf die vergangene Arbeitswoche durchdacht werden kann, wo die Prioritäten für die eigene Entwicklung liegen. In fünf verschiedenen Domains (Struktur, Hoffnung und Erwartung, Allianz, KlientInnen-Faktoren, TherapeutInnen-Faktoren) mit insgesamt 54 Handlungsbereichen wird für jede der genannten Aktivitäten selbst geratet, wie gelungen das eigene therapeutische Vorgehen der vergangenen Woche war. Aus diesem Gesamtbild werden dann die drei Aktivitäten ausgewählt, deren Verbesserung am ehesten zu einer besseren Unterstützung der Patienten führen wird; und von diesen wird dann schließlich die Aktivität mit der höchsten Dringlichkeit als Erstes für die kommenden Wochen und Monate angegangen.

Auf dem Hintergrund dieser zwei Informationsquellen beschreibt das Buch anhand von Beispielen das Strukturieren von DP-Prozessen. So lässt z.B. ‚A Study in Deliberate Practice‘ (Miller et al. 2020, S. 123ff) dieses Vorgehen plastisch werden: der beratene Therapeut hatte bisher übersehen, wie hoch seine Drop-out-Rate nach dem Erstgespräch ist. Bei der Analyse seiner Daten und der Auswertung seiner Taxonomie wird deutlich, dass er seine Erstgespräche bisher nur im Sinne einer ‚Daten-Aufnahme‘ gehandhabt und deshalb jegliche Beziehungsgestaltung (=Therapie) vernachlässigt hat – und ebenfalls oberschwellig wird, welche innerlichen Hürden es für ihn gibt, dies Verhalten zu ändern. Im Laufe der hierdurch angestoßenen strukturellen Änderungen in seiner Einrichtung (mit diesem Aspekt geht diese Monographie über die Perspektive der Bücher von Rousmaniere hinaus) und seiner persönlichen Veränderungen sinkt die Zahl seiner Drop-outs um 30% und die Veränderungswerte seiner PatientInnen steigen signifikant.- Bei allen Beispielen ist es den Autoren aber wichtig, stets festzuhalten, dass jeder DP-Prozess anders sein wird, weil Jeder/Jede andere Lernziele haben wird – deshalb ihr Fazit: „Mine your data. Complete the TDPA. Identify and then work on learning objectives emerging from a careful analysis of your performance.” (aaO, S.138).

 

Welches Buch wir auch immer zur Anregung nehmen, Deliberate Practice ist fordernd („ … because it focuses on your uncomfortable learning edges, your clinical challenges and failures …“ Rousmaniere 2017, S.155), kostet Zeit und Geld und ist auf jedem Fertigkeitslevel die anstrengendste Tätigkeit, die wir in unserem Beruf ausüben können – auch weil sie erfordert, dass wir uns verletzlich machen (aaO, S.51). Für uns erfahrene PsychotherapeutInnen ist dies sogar noch schwieriger als für KollegInnen in der Ausbildung, weil wir unser Selbstbild als ‚erfahren=gut und sicher‘ schützen müssen.

  1. Und wie ist es, mit einem Konsultant zu arbeiten?

Vielleicht kennen ja manche KollegInnen diese Situation: auch wenn bei einem gegebenen Patienten die Fall-Konzeptualisierung an neue Informationen adaptiert worden ist, die Klärung des Auftrags des Patienten nochmals überprüft und passend ist, auch wenn nach Gegencheck klar ist, dass die Veränderungs-Theorie des Patienten zu dem verabredeten Vorgehen passt (s. Robinson, 2009), die Veränderungsstufe des Patienten i.S. des transdiagnostischen Modells von Prohaska (Krebs et al., 2019) beim Vorgehen berücksichtigt wurde, auch keine eigenen autobiografischen Anteile des Psychotherapeuten hinderlich sind und Aufmerksamkeit für Phänomene von Gegenübertragung vorhanden ist usw. usf., werden in Stagnations-Situationen immer mal wieder eigene Limitierungen im therapeutischen Umgang mit Patienten spürbar, die man gerne überwinden würde (aber gewohnt ist zu übergehen). Auf diese Limitierungs-Momente wollte ich meine Konsultationen in Deliberate Practice fokussieren.

In der ‚Deliberate Practice Coaching Role Induction Form’ (Vaz & Rousmaniere, 2021a, Appendix III) betonen die Autoren die Wichtigkeit, als Startpunkt für eine DP-Konsultation  einen guten Fokus zu bilden: sei es ein Patient, der gegenwärtig oder in der Vergangenheit immer wieder zu eigenen Überforderungsgefühlen geführt hat, sei es eine Patienten-übergreifende Einschränkung der eigenen Handlungs-Fähigkeiten (wie z.B. beim Heilen von ‚Alliance Ruptures‘, beim Umgang mit ‚Experiential Avoidance‘ der Patienten usw.) oder eine  durchgehende Hemmung bei bestimmten klinischen Themen (wie z.B. dem Beenden von Sitzungen). Für diesen Zweck schauen DP-Konsultant und Therapeut gemeinsam das Video einer Sitzung an, für das der Therapeut die Stellen notiert hat, an denen sich sein eigener Problem-Fokus zeigt.

Dies Vorgehen war bei meinem Start in Deliberate Practice zunächst verstellt: wegen der Corona-Epidemie (und der dadurch stimulierten weltweiten Nachfrage) waren Camcorder über Monate nicht lieferbar. Also konnte nur mein Bericht von meinen Situationen ‚innerer Enge‘ der Startpunkt sein. Ob nun per Bericht oder anhand eines Videos: um zu bewerten, ob die Ausgangs-Situation für die Konsultation angemessen herausfordernd ist, wird die Stress-Reaktion des Therapeuten von ihm geratet auf einer Skala von 0 bis 10 (0= völlig entspannt, 10= völlig überfordert). Als der für die Bearbeitung günstige Bereich wird ein Stress-Level von 4 – 7 gesehen: bei Scham, Irritiertheit, Herzfrequenz, Schwitzen, Konzentrationsschwierigkeiten usw.; und auch während der Konsultation wird dies Level immer wieder überprüft (‚Deliberate Practice Reaction Form‘, Vaz & Rousmaniere, 2021a, Appendix I). Dass also ganz selbstverständlich die Zone der eigenen Scham betreten wird, dies DP-Konsultant und Therapeut bewusst ist als konstitutiver Teil der Konsultation, und dass beide deshalb auch immer wieder schauen, ob sich der Therapeut in dem Prozess noch hinreichend geschützt fühlt, kommt meinen Bedürfnissen nach Wachsen und gewolltem Risiko unter Schutz entgegen. Und es gefällt mir auch, dass egal wie erfahren wir jeweils sind, es immer wieder in die 4-7er-Zone geht und die Gemeinsamkeit des Lernens in unserem Berufsstand durch dieses Vorgehen betont wird.

Zur Illustration meine erste Konsultation[17], bei der ich Unterstützung dafür wollte, dass ich bei einem bestimmten Patienten immer wieder in innerliche Passivität gerutscht bin. In Supervision würde man sich vermutlich ein Verstehen dieser Reaktion auf dem Hintergrund des präferierten Therapie-Modells erarbeiten und daraus eine generelle Linie des künftigen Umgehens damit entwickeln. In einer Deliberate Practice-Konsultation sucht man hingegen nach einer passenden Stimulus-Situation, der Therapeut imaginiert dann den Patienten/die Situation und der Konsultant sagt im Rollenspiel einen für den Fokus passenden Satz des Patienten. Jetzt ist es meine Aufgabe, statt in Passivität zu rutschen mit einem angemessenen Satz zu antworten.  Aber ich habe in der Konsultation zunächst einmal nur einen Black-out, mir fällt absolut nichts ein. Kurze Überprüfung meines Stresslevels – es hat sich sogar auf 8 erhöht. Der Konsultant schlägt mir einen Satz vor. Wir gehen wieder ins Rollenspiel, ich stottere den Satz herunter und merke wie peinlich mir dies ist. Pause und neuer Anlauf: ich merke, dass ich auf der Suche nach meiner eigenen Sprache (statt des vom Konsultant vorgeschlagenen Satzes) viel zu lange rede und komme über dies Bemerken ins gedankliche und sprachliche Stolpern. Wir unterbrechen und suchen nach einer Grundaussage und wie ich diese prägnant formulieren könnte. Neues Rollenspiel. Und mit jeder neuen Runde wird dies allmählich flüssiger, eigener, prägnanter und das Stresslevel geht sukzessive herunter. In den kurzen Pausen diskutieren wir nicht, sondern evaluieren nur den jetzigen Stand und bereiten die nächste Runde vor. Die Sitzung schliesst mit der Verabredung, dass ich den Patienten-Ausgangs-Satz und mögliche Folge-Sätze von ihm auf mein Handy spreche und meine Reaktionen sequentiell üben und variieren werde bis ich Stimmigkeit und Sicherheit empfinde. Dieser Übungsprozess wiederum wird protokolliert in der ‚DP Therapist Diary Form‘ (Vaz & Rousmaniere, 2021a, Appendix II). Die Ergebnisse des Übens und der Verlauf der realen nächsten Patienten-Sitzung sind wiederum der Startpunkt der nächsten Konsultation.

Dieser Sitzungs-Ablauf ist massiv anstrengend – und entspricht damit der Erfahrung aller DP-Praktiken auch in anderen Bereichen. Da es die ganze Zeit an der Grenze des mir Möglichem entlang geht, ist dies nur in einem Klima des Mitgefühls für diese meine/unsere Grenzen möglich.

Verhaltensänderung braucht Zeit – deshalb schliesst sich an diese Sitzung und das häusliche Üben die Frage an, wie ich dies aktive Herangehen bei diesem Patienten insgesamt wahrscheinlicher machen und meine Aufmerksamkeit auf dieser Veränderung halten kann ohne in das bisherige Passivwerden wieder zurück zu fallen usw. … und bei welchen Patienten mein Passivwerden ebenfalls auftritt, ohne so prägnant zu sein wie bei ihm.[18]

Es gibt meines Wissens bisher keine definitorischen Gegenüberstellungen von Supervision und Deliberate Practice (s.a. die Aussagen von Rousmaniere unter 5. im drittletzten Absatz), sondern Deliberate Practice wird für sich selbst methodisch definiert. Aus der Analyse von Ergebnissteigerungen in verschiedenen Anwendungsfeldern sind die Deliberate Practice-Methoden entwickelt worden und diese werden nun für das Feld Psychotherapie adaptiert[19]: das Motiv für Deliberate Pratice ist im Bereich Psychotherapie (wie in allen anderen Feldern), dass wir belegbar wirksamer werden. Dies erfolgt in folgenden Schritten:

  • bei einer präzise definierten Ausgangskompetenz zu starten, die von uns selbst als limitiert empfunden wird: das kann eine Verhaltenshemmung sein, ein Nichtertragenkönnen von bestimmten Gefühlen usw. Das kann aber auch ein Bereich unserer Tätigkeit sein, den wir als ungünstig empfinden und bei dem dann erst unsere eigene Limitierung auf Verhaltens-/Gefühlsebene herausgearbeitet werden muss: s. das Beispiel der Kollegin ‚Etta‘ bei Miller et al. (2020, S.82ff), die deutlich höhere Therapie-Drop-outs und Patienten-Verschlechterungen hatte als durchschnittlich zu erwarten sind.
  • dann (idealerweise von einem Konsultant) Übungen ‚verschrieben‘ zu bekommen, die genau diese Limitierung mit klarem Ziel Bei dem Suchprozess nach geeigneten Übungen wird das Meta-Gespräch eher geringgehalten, sondern es wird gezielt nach Übbarem geschaut und ob dieses in den angemessen herausfordernden Bereich (=Stresslevel 4 -7) fällt. Da dies Gespräch an der Grenze der eigenen therapeutischen Kompetenz verläuft, sind Scham und Selbstkritik zu erwarten, deshalb braucht der sich Exponierende Wärme und Halt.
  • diese Übungen dann beständig zu wiederholen (und sich regelmäßige Zeiten dafür zu reservieren) bis sich ein Erweitern des Spielraums einstellt; diese Übungen werden protokolliert (schriftlich, Audio, Video), so dass Feedback möglich ist.
  • für dieses neu gewonnene Level gibt es dann Feedback und eine neue Konsultationsschleife beginnt.

Dieser Prozess hat das Ziel, dass sich die Ausgangswerte verbessern s. z.B. die Entwicklung des Kollegen ‚Everett‘ bei Miller et al. (2020, S. 125ff), der aus seiner Sicht zu viele PatientInnen nach dem Erstgespräch verlor.

  1. Persönliche Schlussbemerkungen

 Die Zeiten, in denen die therapeutischen Verfahren einander in rüder Weise die Überlegenheit des eigenen und Unterlegenheit des anderen Vorgehens um die Ohren geschlagen haben (sei dies durch Forschung oder konzeptuell begründet), gehen zu Ende. Innerhalb unserer Profession haben wir ja immer schon gewusst (und bei der Suche nach einem Therapeuten für uns selbst genutzt), dass es unterschiedlich wirksame KollegInnen gibt. Hierüber nun auch fachöffentlich zu reden, mutet aber fast wie eine Tabu-Verletzung an.

In diesem Text wie auch in der vorliegenden Literatur zu Deliberate Practice geht es darum, wie wir für unsere PatientInnen hilfreicher werden können: dazu gehört auch das Gewahrsein, wieviel Bereitschaft dies auf unserer Seite erfordert, uns verletzlich zu machen, wenn wir immer wieder neu die eigenen Grenzen offenlegen. Dies kann nur freiwillig und selbstgesteuert geschehen. Dies gilt für Deliberate Practice ebenso wie für das Einholen von immer offenerem Feedback durch unsere PatientInnen bei der Feedbackorientierten Rahmung von Psychotherapie (s. Linsenhoff 2020). Diese Prozesse dürfen nicht unter die Räder staatlicher Regulierungswünsche geraten: die Motivation, sich immer wieder in der Arbeit offen zu halten, ginge verloren. Damit ist klar: die in das im September 2019 erlassene ‚Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz‘ eingeschleusten Paragraphen 92 (6a) und 136a (2a) verfolgen das Ziel von ‚mehr Kontrolle‘ und sind damit für die Anliegen von Deliberate Practice und FIT hinderlich: ‚mehr Kontrolle‘ ruft bei den Kontrollierten Schutz-Impulse hervor statt Entwicklungs-Bereitschaft!

Vom kurzen Blick auf unseren berufspolitischen Kontext nun zur Bewertung von Deliberate Practice: in ihrer ‚Mission‘, Wege zu öffnen, auf denen wir wirksamer werden, verlieren die Autoren aus meiner Sicht aber die Motivation von uns TherapeutInnen zum Teil deutlich aus dem Blick: z.B. wenn sie fordern, dass wir bei Erneuerung unserer ‚credentials‘ (also bei uns: der Approbation) unsere Effektivitätsdaten vorlegen sollten (Rousmaniere et al., 2017b, S.270) oder dass SupervisorInnen Daten zu ihrem Einfluss auf die PatientInnen-Outcomes ihrer SupervisandInnen vorlegen sollten (aaO, S.271). Diese Ignoranz unseren Bedürfnissen gegenüber zeigt sich m.E. auch unterhalb von Fragen beruflicher Zulassung, wenn die Autoren des Sammelbands von Rousmaniere et al. (2017a) oder Miller, Hubble & Chow (2020) z.B. die eigene Effektstärke als einen Startpunkt für Entwicklung nennen. Dies scheint mir in absehbarer Zukunft nicht nur in Deutschland wenig erfolgversprechend.  Dafür müssten wir Alle bereit sein, uns dieser individuellen Quantifizierung mit den dazugehörigen möglichen Beschämungen zu stellen. Wie in der Untersuchung von Walfish et al. (2012) belegt, halten wir uns Alle für mindestens durchschnittlich wirksam – deshalb hätten 50% von uns eine Kränkung zu erwarten, wenn es zu dieser Berechnung käme – eine Beschämung, die 100% fürchten würden! – Wenn diese Gefühle und Motive von uns TherapeutInnen übergangen werden, droht sich bei Deliberate Practice etwas zu wiederholen, dass bereits beim Einführen von Feedback durch die jeweiligen PatientInnen wirksam war: die Daten hierfür sind eindeutig – die Wirksamkeit erhöht sich um .34 bis .92 (also erheblich! Lambert 2010, S. 249; ausführlicher dazu Linsenhoff, 2020) und dennoch werden diese Verfahren nicht in starkem Maße von der Profession angenommen. Lamberts Erklärung: „clinician resistance“ (2010, S. 257)! Wir sollten auch auf uns selbst unser Wissen anwenden, dass ‚resistance‘ immer einen guten Grund hat, nämlich hier das Unwohlsein, sich einer Bewertung auszusetzen. Selbst im Calgary Counseling Center (als Ort der Begeisterung für FIT und DP) ist dies Unwohlsein greifbar, wenn die SupervisorInnen die regelmäßigen Feedback-Runden mit ihren Supervisees sabotierten, weil sie kritisches Feedback befürchteten (Goldberg et al., 2017, S. 214). In der Deliberate Practice-Literatur weisen meines Wissens bisher erst Clements-Hickman & Reese (2020) darauf hin, dass die Begeisterung für dieses Feld bisher keinen Raum lässt für Skepsis, Unwohlsein und auch Unlust wegen des Zeitaufwands.

Andererseits sind meiner Erfahrung nach alle KollegInnen daran interessiert, möglichst wirksam für ihre PatientInnen zu sein und deshalb auch ansprechbar auf Wege, diese Wirksamkeit zu erhöhen – wenn die dadurch bei ihnen evozierten Gefühle fair, anerkennend und schützend behandelt werden. Zunächst müssen wir allerdings erstens die Irritation bewältigen, dass bei allem Wert, den Supervision für uns hat und der auch empirisch belegt ist, es bisher keine empirische Klarheit in einer Hinsicht gibt: nämlich dass sie unsere Wirksamkeit erhöht.

Supervision gehört fest zu unserem beruflichen Kodex, deshalb mag diese Aussage auf Manche schockierend wirken. Supervision ist essentiell, gibt Entlastung, schafft Perspektivenwechsel, gibt Anregungen, öffnet die geschützte Therapie-Situation dem ‚Blick des Anderen‘, stärkt das Gewahrwerden auf mich, meine Eigenheiten und Stärken usw. usf. – aber ob sie unsere Wirksamkeit bei PatientInnen stärkt, ist weiterhin offen. Drei Referenzen zum Beleg dieser Aussage: „… the effects of supervision on the patient outcomes obtained by supervisees …  are largely unknown … “(Wampold & Imel, 2015, S. 276f). Watkins (2011, S. 235) kommt in seiner Forschungsübersicht zum Ergebnis “We do not seem to be any more able to say now (as opposed to 30 years ago) that psychotherapy supervision contributes to patient outcome.” (Watkins, 2011, S. 235). Und Knox & Hill (2021) kommen in ihrer Übersicht zu „Training and Supervision in Psychotherapy“ in der ‚Bibel‘ der empirischen Psychotherapieforschung zunächst zu dem Fazit „Supervisees reported enhanced awareness of self and others; increased autonomy, motivation and counseling self-efficacy … and noted that supervision provided helpful coping mechanisms and ideas about therapy and interventions, and also fostered insight and clarity about clinical work.” (S. 340f) um dann zu schließen mit “Finally, we know little about the effects of supervision on clients …”.  Dies ist eine Wiederholung ihrer Aussage zum Forschungsstand in der vorigen Ausgabe des ‘Handbooks‘ von 2013: „Thus, supervision may have some beneficial effects on supervisees, but its effects on clients are less clear.” (Hill & Knox 2013, S.786).

Und es muss zweitens offen thematisiert werden, dass eine Wirksamkeits-Steigerung mit Hilfe von Deliberate Practice aufwendig und unsicher ist.[20]

Deshalb ist mein gegenwärtiges Fazit: ‚unterhalb‘ von Effektstärken uns selbst um ein Verbessern der eigenen Resultate zu kümmern – das Verfahren zu wählen, das unseren Werten entspricht / SupervisorInnen zu wählen, die uns Halt und Anregung bieten / die Weiterbildungen zu besuchen, die unseren Interessen entsprechen. Dann aber auch in unserer beruflichen Praxis nach Quantifizierbarem und damit nach Beispielen zu suchen im Sinne von Ericssons Definition ‚gradual improvement in some specific aspect‘ (Ericsson, 2013, Folie 22u) wie z.B.:

  • Rückmeldesysteme von PatientInnen für uns zu verwenden wie dies in der Feedback-orientierten Rahmung von Psychotherapie geschieht, sei es in einer einfachen und dem Therapie-Alltag nahen Form (s. Linsenhoff, 2020), sei es in komplexerer Form wie z.B. bei Lutz et al. (2019)[21]. Auch hier gibt es eine Kompetenz in Deliberate Practice zu entwickeln, die in der Literatur kaum erörtert wird: nämlich in einer solchen Art nach Feedback zu fragen, dass die PatientInnen immer offener und ehrlicher dabei werden.[22]
  • oder: die eigenen No-shows oder die Drop-outs oder die Verschlechterungen oder den Anteil der unveränderten PatientInnen in den Blick zu nehmen, für ein halbes Jahr auszuzählen und dann immer wieder neue Wege zu erproben, um den gewählten Aspekt zu reduzieren; und danach durch erneutes Auszählen für ein halbes Jahr zu überprüfen, ob ein Reduzieren gelungen ist (s. Linsenhoff, 2020, S. 10f)
  • oder: selbst empfundene Limitationen genau zu erfassen (z.B. mit fremd-geratetem Rollenspiel oder ‚fremdem Blick‘ auf ein Sitzungs-Video), mit DP-Methoden oder DP-Konsultant an deren Weitung zu arbeiten, um dann den neuen Stand zu erfassen durch erneutes Fremd-Rating usf. Oder auch in der vertrauten Intervisionsgruppe die Taxonomy of Deliberate Practice Activities für jeden Teilnehmer/jede Teilnehmerin durchzugehen und dabei auch die Sicht (=das Rating) der Anderen zur eigenen Arbeit einzuholen.
  • oder: für diejenigen, die das wünschen, Fortschritte/Nicht-Fortschritte in Weiterbildungen als wählbaren-freiwilligen-mit Zusatzkosten verbundenen Teil zu erheben als zweites Element neben der inhaltlichen Weiterbildung.- Ein bereits gut ausgearbeitetes Beispiel dafür ist die ‚multikulturelle Kompetenz‘: da Selbsteinschätzungen dieser Kompetenz von PsychotherapeutInnen keinen Zusammenhang mit Patienten-Ergebnissen haben, Patienten-Ratings des jeweiligen Therapeuten aber robuste Prädiktor-Qualität haben (Soto et al. 2019, S. 97) bietet sich ein solches Prä-/Post-Erfassen dieser Kompetenz bei entsprechenden Weiterbildungen an.[23]

In einer so verstandenen selbst gewählten und gestalteten Entwicklung hat Deliberate Practice ihren sinnvollen Platz. Dabei stehen wir erst am Beginn des Experimentierens mit den DP-Schritten – Rousmaniere beschreibt diesen Ort präzise: “… we are at the very beginning of figuring out how to use deliberate practice for psychotherapy. I suggest psychotherapy is more complex than athletics, is more complex than music and so it may take us a while. I would suggest the next steps are to figure out, to examine what are the most productive skills to focus on in deliberate practice, what kinds of rehearsal help the most and are the most effective. What you saw today was a kind of variety of different rehearsals … (beschreibt unterschiedliche während des Workshops geprobte Varianten). And then finally we also need good measures to measure this. How do we measure if somebody is doing deliberate practice and how do we specifically define it as distinct from supervision. So there is a lot for researchers to do here. I would expect this will take a few decades to figure out (lacht vergnügt).” (aus Vaz & Rousmaniere, 2021b, ab 2:45:15).

Dies beschreibt die aktuellen Fragen auf US-amerikanischem Hintergrund. Wie ein kurzer Google-Vergleich der Nennungen von ‚Deliberate Practice + Psychotherapy‘ und ‚Deliberate Practice + Psychotherapie‘ zeigt, ist das Konzept und die Praxis in Deutschland noch nicht in stärkerem Maße angekommen. Als (mir bekannte) Ausnahmen möchte ich eine zusammenfassende Präsentation von Ehrenthal (2020) über seine Forschung im Rahmen von Universitäts-Seminaren und den Beitrag von Caspar (2020) auf der gleichen Tagung hervorheben; und eine Präsentation von Jacobi (2021) auf einer online-Tagung der Berliner Psychotherapeutenkammer. Besonders ausführlich ist aber die Auseinandersetzung von Franz Caspar (2017) mit „Professional Expertise in Psychotherapy“, in der er verschiedene Kriterien für Expertise diskutiert und zum Schluß kommt: „Ultimately, it is not the ability to establish a good relationship that matters; nor the ability to develop impressive case formulations; nor the ability to impress patients, colleagues or raters; but rather the ability to facilitate patient improvement. Everything else may be important, but only so far as it is instrumental to this end goal.” (S.195). Und als Mittel, um dies anzugehen, schlußfolgert er: „… the most effective avenue to expertise appears to be deliberate practice.” (2017, S. 204). Als gegenwärtige Limitierung bei deren Entwicklung sieht er aber, dass es noch nicht genügend präskriptive Modelle dafür gibt, was Expert Performance in Psychotherapie ausmacht, um damit Ziel- und Übungsdefinitionen hinreichend leisten zu können.

Wir müssen nicht warten, bis wir mehr (auch deutsche) Forschungsergebnisse haben. Wir können der eigenen Grenzen gewahr werden (egal wie lange wir schon in diesem Beruf stehen), wir können uns von den zahlreichen Beispielen über persönliche Grenzen in den drei Monographien anregen lassen und wir können uns dann herausfordernde Übungssituationen für ein Weiten dieser Grenzen überlegen. Und diese imaginativ oder in Rollenspielen in Intervisionsgruppen erproben: Tun, nicht bloß darüber reden oder reflektieren.

 

Anmerkungen:

[1] Alle mir bekannte Literatur bezieht sich bisher auf die Erwachsenen-Psychotherapie; wie aber insb. die Monographien unter 3. zeigen werden, gelten für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie die gleichen Prinzipien. In der APA-Buch- und DVD-Reihe (s.u.) ist auch ein Buch zu diesem Feld geplant.

[2] Die bekannteste Publikation des ISTC ist der Herausgeber-Band „The Heart and Soul of Change. What works in Therapy“ der American Psychological Association (Hubble, Duncan & Miller, 1999), aktuell in der zweiten Auflage (Duncan et al., 2010).

[3] „The evidence is clear: Dramatically more variance is due to therapists within treatments than to treatments.” Wampold, 2001, S. 226.

[4] Ein Ergebnis konnte diese Forschung aber sichern, nämlich dass hochwirksame PsychotherapeutInnen intensiver auch nach kritischem Feedback von PatientInnen fragen (Miller et al., 2007, S. 33).

[5] Zum Beispiel als Herausgeber des ‚Cambridge Handbook of Expertise and Expert Performance‘‘ (Ericsson et al., 2018)

[6] https://www.intpsy3.at/tagungsprogramm/

[7] https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/zentrum-fuer-psychosoziale-medizin-zpm/institut-fuer-psychosoziale-praevention/forschung/professionalisierung

[8] Bruce Wampold hat z.B. unter der Bezeichnung ‚theravue‘ Internet-basierte Kurse entwickelt, die von Universitäten gekauft werden können. Einzelne Skills (wie z.B. das Erkennen, Anerkennen, Ergründen und ‚Reparieren‘ von ‚Alliance Ruptures‘) können zunächst in Rollenspielen mit Video-Patienten am PC geübt werden bis der/die Studierende mit seinem/ihrem aufgezeichnetem Ergebnis zufrieden ist. Dies wird dann an den Supervisor gesandt, der ein konkretes, Verhaltens-orientiertes Feedback dazu gibt. Dies Feedback wird dann zum Startpunkt eines weiteren Übungs-Zyklus. https://www.theravue.com

[9] Wünschenswert wäre eine Replikation dieser Studie mit einer längeren beobachteten Berufspraxis.

[10] Also wenig in einem Jahr, bei dreißig Jahren beruflicher Praxis wären dies aber relevante 0.36 Verlust!

[11] Mail von Goldberg am 7.6.21

[12] Welche Unterschiede hinter diesen abstrakten Effektstärke-Daten stehen zeigt sich z.B. daran, dass bei den TherapeutInnen des 1.Quartils nur 22% der PatientInnen keine Veränderung erreichen konnten, während dies bei den TherapeutInnen des 4.Quartils bereits 44,5% der PatientInnen waren.

[13] Dieses sehr deutliche Ergebnis zeigt auch: wer sich um diese Fragen der Wirksamkeit kümmert, tut dies zeitaufwendig und damit zu Lasten seines Einkommens.

[14] Die ‚Fix me‘-Szene führte nicht zu signifikanten Veränderungen in der Feedback-Gruppe: es bleibt unklar, ob dies an einer zu geringen TeilnehmerInnen-Zahl lag oder ob die FIS-Fertigkeiten bei einer solchen Problemlage nicht hinreichend ‚greifen‘ (Jones, 2019, S.71).

[15] Ericsson & Pool (2016, S.98) definieren bündig als Voraussetzung für Deliberate Practice 1. „objective criteria for superior performance“ und 2. „training methods that reliably improve performance” – von Beidem sind wir im Bereich Psychotherapie noch erheblich entfernt.

[16] Persönliche Mitteilung 15.9.21

[17] Deliberate Practice-Konsultant war Alexandre Vaz.

[18] Um mehr Einblick in das subjektive Erleben von Deliberate Practice zu geben, eignet sich sehr gut die Untersuchung von Hill et al. (2020) über die Effekte eines kombinierten Gruppen- und Einzeltrainings von ‚Immediacy‘ im psychodynamischen Rahmen durch Tony Rousmaniere – allerdings von Ausbildungs-KandidatInnen.

[19] Dies wird auch von Franz Caspar (2017, S.193f) als ein sinnvolles Vorgehen gesehen: nämlich, da es an systematischer Forschung zu hochwirksamen PsychotherapeutInnen mangelt, nach allgemeinerer Forschung zu Hochleistung zu schauen. Natürlich nicht mit dem Ziel, dass wir nun Alle hochwirksam werden (das ist ja auch nicht nötig, da ‚good enough‘ reicht), sondern mit der Frage, was wir Alle von Hochwirksamen lernen können.

[20] Selbst Rousmaniere schliesst seine Monographie (2017, S. 193) mit der Aussage, dass er noch nicht weiß, ob er die 50% seiner PatientInnen, denen er anfangs nicht weiterhelfen konnte, reduzieren konnte. Er habe zwar das Gefühl, dass das so sei, aber durch seine bisherigen häufigen Wechsel der Arbeitsstelle, sei es ihm nicht möglich gewesen, vergleichbare Daten zu erarbeiten.

[21] Wichtig ist festzuhalten, dass sich durch Feedback-Systeme die Wirksamkeit der Therapie für die jeweiligen Patienten erhöht, diese aber nicht die generellen Fähigkeiten der TherapeutInnen steigern (s. z.B. Anker et al. 2009).

[22] Eine Untersuchung von Blanchard & Farber (2016) ergab, dass 72,6% der Befragten zumindest über einen Aspekt der eigenen Therapie gegenüber der eigenen Therapeutin gelogen haben – das zeigt, wie notwendig individuell abgestimmte Einladungen zu offenem Feedback sind.

[23] Die Autoren schlagen vor: „… multicultural training should require skill demonstration and ongoing evaluation. Trainees can be asked to demonstrate multicultural competencies both in classroom settings and in clinical settings. For instance, students can engage in role-plays with the instructor in class and with others, video recorded outside of class. They can respond to case scenarios and seek out opportunities to demonstrate a skill, such as repairing of an alliance rupture over racial tensions. It is essential that clinicians-in-training learn to walk the walk rather than simply talk the talk.” (Soto et al., 2019, S. 118; Hervorhebung durch AL)

 

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